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Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt bezüglich Corona und Montauk

Daniel Kehlmann und Corona? Die Vermessung der Welt bezüglich der Pandemie durch einen Autor? Und was macht(e) dieser eigentlich in Montauk? Das alles sind gute bis sehr gute Fragen und all diese werden wir im Folgenden einfach mal beantworten.

Daniel Kehlmann ist Schriftsteller und doch geht es im Mai 2020 in einem Interview für das Süddeutsche Zeitung Magazin nicht um seinen neuesten Roman, sondern um das Thema Corona beziehungsweise Covid-19. Was man noch wissen muss? Der Schriftsteller hat zu diesem Zeitpunkt mitsamt Familie seinen Wohnort New York City Mitte März 2020 verlassen. Das neue „Home“ bildet ein Haus nah am Meer in Montauk auf Long Island. Richtig, genau da wo Max Frisch seinerzeit sich für ein berühmtes Buch mit dem gleichen Titel hat inspirieren lassen. Richtig, Max Frisch bescherte uns eine überraschend moderne Novelle, eine, die ihresgleichen in der Moderne sucht (wie auch eigentlich im Werk von Frisch selbst). Aber darum geht es hier ja nicht, daher fahren wir fort …

 

Über Schutzmaßnahmen und Dramatik

Kehlmann bemerkt zuerst einmal, dass die Welt durch Corona an Schönheit und Erotik verliert, da ja überall Schutzmaßnahmen wie Masken oder Plexiglas-Trennwände dem Leben die Vielfalt nehmen. Aber was ihn mehr beschäftigt, ist die Suche nach dem Ausweg. Dabei geht es gar nicht sonderlich um die leidigen Masken, sondern um langfristige Eingriffe in die Grundrechte.

 

Montauk Corona Kehlmann

Leuchtturm in Montauk, einer langgestreckten Halbinsel nördlich von New York.

Daneben geht er darauf ein, dass manche Bilder aus New York zu Missverständnissen führten. Da war zum Beispiel dieses Zeltkrankenhaus im Central Park. Kehlmann erläutert, dass dieses durch eine religiöse Organisation errichtet und betrieben wurde, welche eigentlich Feldlazarette in Afrika baut. Letztlich waren die Zelte nie ausgelastet, aber dafür entstanden höchst dramatische Bilder, die um die Welt gingen. „Bei mir meldeten sich Menschen aus Deutschland, von denen ich seit zwanzig Jahren nicht gehört hatte, und fragten, ob wir es “vorher noch rausgeschafft” hätten.

 

Ein unerwartetes Lob von Daniel Kehlmann auf Christian Drosten

Kehlmann ist Christian Drosten zutiefst dankbar für dessen täglichen Podcast, von dem er und seine Frau im Übrigen keine Folge verpassen. „Das ist ein fantastischer Dienst an der Allgemeinheit, nirgendwo sonst bekommt man dieser Tage so gute Erklärungen. Allein dadurch sind wir dem amerikanischen Informationsstand immer zwei bis drei Wochen voraus.“

Na gut, kann man sich da denken, aber das Merkwürdige dieser Beobachtung ist doch der Umstand, dass in einem Land wie den USA der kleine Christian Drosten aus good old fucking Germany der beste Informationsdienst in Sachen Corona sein soll – und dies mit 21 Tagen Vorsprung. Als dies in einem Land wie den USA, wo Informations-Plattformen wie Facebook oder Twitter das Licht der Welt erblickten.

 

Kein Zurück mehr?

Daniel Kehlmann gibt sich Mitte 2020 nicht gerade optimistisch. Ihn besorgt, dass die Menschen stets noch mehr Einschränkungen fordern und anstatt die Probleme anzugehen, sich „über weltfremde Denker“ echauffieren, „die von Grundrechten philosophieren“. Bereits vor der Katastrophe befand man sich ja in „einer katastrophal kurzatmigen Debattenkultur“, und „in der Diskussion um die Freiheitsbeschränkungen wird jetzt sehr deutlich, dass die maßvollen Stimmen oft im Geschrei untergehen …“.

 

Nahezu lustig –
der Blick zurück

Wer die Vermessung der Welt beschreiben kann, der beherrscht auch den für Literaten wichtigen Perspektivwechsel. So fragt sich Kehlmann dann perspektivisch, was man in Zukunft über die aktuelle Gegenwart sagen wird. „Wenn wir heute lesen, dass Shakespeare vor mehr als tausend Menschen Theater spielen ließ, ohne dass dort eine öffentliche Toilette bereitstand, erscheint uns das unvorstellbar. Die Leute verrichteten ihre Notdurft, wo sie standen, einfach so.“ Dem fügt er noch hinzu, dass spätere Historiker über die Dixie-Toiletten bei Rock am Ring vielleicht mit dem gleichen Grauen berichten werden.


Daniel Kehlmann und die Hoffnung

Für Autor Kehlmann hilft unter anderem abstraktes Denken. „Das ist das Gute an der Philosophie: Sie bringt uns bei, dass individuelle Rechte nie von individueller Willkür abhängen dürfen.“ Daher werden sich seines Erachtens viele der aktuellen Corona-Regeln mit der Zeit als unnütz herausstellen. Letztlich macht er sich aber auch Sorgen um die Buchbranche, denn während des ersten Lockdowns wurde deutlich weniger Literatur gelesen, als man erwarten konnte.

Um zum Anfang zu kommen. Ein Autor, der nicht sehr optimistisch in die Zukunft schaut, ist keine Seltenheit. Einer, der dies umfassend tut und letztlich mit Sorgen um die eigene Kulturbranche, der gehört zumindest nicht zur jungen Garde. Aber vielleicht war Daniel Kehlmann immer schon etwas älter als die Jungen.



Über Aberglaube und Podcats

Ein Interview mit Daniel Kehlemann und der NZZ von Oktober 2o2o ist mehr oder weniger ganz dem Thema Corona und Pandemie gewidmet. Auf die Frage, ob der Mensch in Krisenzeiten dem Aberglauben verfällt, spricht der Schriftsteller lieber davon, dass die Maßnahmen zum Teil Talisman-Charakter haben.

Wir befinden uns zwangsläufig in einem großen Experimentalsystem, wir sollten einander zuhören

Als einen solchen Fall benennt er die Kontrollen an einigen Orten mit Temperaturmess-Pistolen, welche bekanntlich prüfen sollen, ob jemand Fieber hat. „Klingt gut, beruhigt auch, bewirkt aber gar nichts gegen das Coronavirus. Denn wir wissen, dass der Sars-CoV-2-Infizierte in dem Moment, in dem er Symptome zeigt, im Normalfall fast nicht mehr ansteckend ist.“ Das sagt Kehlmann und kommt zu dem kurios logischen Schluss, es könnte besser sein, „überhaupt nur Leute mit Fieber hereinzulassen”.



Was Autor Kehlmann von den Schweden hält

Darüber hinaus glaubt er, dass die Inkonsistenz der staatlichen Maßnahmen eine Gegenbewegung entstehen lassen kann. Er selbst wünscht sich jedoch eine Politik, die maximal transparent und sachlich kommuniziert. „Wir befinden uns zwangsläufig in einem großen Experimentalsystem, wir sollten einander zuhören.“ Als vorbildlich stellt er die Schweden dar, denn dort spricht die Regierung offen und die Bürger sind mündig genug, um mit den Hinweisen und Maßnahmen umgehen zu können.

 

Nicht nur in Montauk:
Informationen sind im englischsprachigen Raum rar

Eine Sache liegt Kehlmann in dem Interview besonders am Herzen. Die Rede ist von der  Zugänglichkeit von Information. Er zeigt sich sehr dankbar „für all die Podcasts der Virologen und Epidemiologen“. Auch unterstreicht der Schriftsteller, dass es solche Informationsmöglichkeiten aus erster Hand im englischsprachigen Raum schlichtweg nicht gibt. Daher sei dort auch die Panik und Unsicherheit viel höher.


Die Vermessung der Welt aus Montauk.
Oder die erstaunliche Folgsamkeit von Bevölkerungen?

Kehlmann erstaunt es besonders, wie sich in Spanien und Frankreich die Bürger von der Regierung gängeln lassen. „Man durfte in ganz Spanien fast zwei Monate lang nicht mit einem Kind auf die Straße gehen. Das ist doch unbegreiflich!“ Andererseits hatte man in den USA damit gerechnet, dass Donald Trump einen extrem strengen Lockdown verfügen wie auch seine Ankündigung, Manhattan abzuriegeln, umsetzen würde. Dort aber hat sich der Gouverneur von New York State dem rigoros entgegengestellt.


Der Autor Daniel Kehlmann über Angst

Nach Kehlmann gibt es zwei Urängste. Jene vor gefährlichen Fremden, die über ein Land hereinbrechen könnten. Diese Neigung kann man durch Intellektualisieren bekämpfen. Was seiner Meinung nach mittlerweile auch gelernt ist. Daneben gibt eine tiefere Urangst vor der Pest. Die große Pestepidemie hält Daniel Kehlmann für das einschneidende Ereignis der frühen Neuzeit. Letzteres hätte die Menschheit tiefer geprägt, als allgemein wahrgenommen.

Der Autor empfand es zudem als „regelrecht aberwitzig zu sehen, wie viele Intellektuelle plötzlich ganz dieser Angst anheimfielen“. So berichtet er von Boris Groys, ein russisch-deutscher Philosoph und Kunstkritiker, der monatelang seine Wohnung in New York nicht verlassen hat. Daniel Kehlmann kann das nicht verstehen, da es doch völlig klar ist, „dass jenes Virus nicht in der freien Luft herumfliegt“.




Mutierte Vieren oder – Daniel Kehlmann über deutsche Mentalität und Autoritätsgläubigkeit

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Der Autor in der deutschen Tagesschau am 12.12.2021. Thema des Gesprächs sind mutierte Vieren.



Daniel Kehlmann im Interview

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Die Moderatorin Barbara Bleisch sucht mit dem bekannten Schriftsteller nach dem närrischen Geist unserer Zeit. Richtig geraten, dabei wird natürlich auch über Literatur gesprochen – unter anderem über den Roman Tyll von Daniel Kehlmann, der sich unter anderem um den Komödianten Tyll Eugenspiegel dreht.



Daniel Kehlmann

Daniel Kehlmann, 1975 in München geboren, ist ein deutsch-österreichischer Schriftsteller. Er lebt in New York beziehungsweise Montauk wie auch Berlin. Er ist der Sohn des österreichischen Regisseurs Michael Kehlmann und der deutschen Schauspielerin Dagmar Mettler. Sein Großvater war der expressionistische Schriftsteller Eduard Kehlmann. Sein Roman „Die Vermessung der Welt” wurde zu einem der erfolgreichsten deutschen Romane der Nachkriegszeit. Der aktuelle Roman „Tyll” stand monatelang auf internationalen Bestsellerlisten.



Bücher von Daniel Kehlmann

 



 

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