Diesmal ist es mehr als „nur” eine Studie: In seinem Buch „Leben mit dem neuen Corona-Virus“ beschreibt der Bonner Virologe Prof. Hendrik Streeck die eigene Spontanität bei Ausbruch der Corona-Pandemie. Wir schauen in dieser Rezension einmal genauer nach.
Direkt nach dem ersten größeren Ausbruch nach der Karnevalsveranstaltung in Gangelt bei Heinsberg erforscht Hendrik Streeck das Infektionsgeschehen systematisch. Falls es der eine oder andere Leser vergessen hat: Bei den Infizierten in Heinsberg handelt es sich um den ersten Hotspot in Deutschland.
Streecks Ende März 2020 gestartete Feldstudie erbrachte dann auch schnell viele neue Erkenntnisse auf allen Ebenen und bestätigte einige bisherige Vermutungen. Durch diese Ergebnisse konnten Politiker gezielter auf das Pandemiegeschehen reagieren. Der Autor beschreibt zudem in seinem Buch die Reaktion der Bewohner in Gangelt. Dies geht sogar soweit, dass wir erfahren, bei wem sein Team an der Haustüre klingelte und den Institutsausweis vorzeigte.
In besagtem Gangelt startete er seine Forschung über das neue SARS-CoV-2 Virus – und dies sozusagen von Null auf Hundert. Der Virologe Streeck kommt zu den Infizierten und nimmt Proben vor Ort. Das geschieht ganz anders, als sich der Leser vielleicht die Arbeit in diesem Beruf vorstellt. Und auch ganz anders, als manche Virologen sonst arbeiten mögen.
Und noch etwas: In seinem Buch legt der Autor die Gründe für seine frühen Kontakte zur Politik und explizit zum NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet und dem NRW-Minister für Gesundheit und Soziales, Karl-Josef Laumann, dar. Daher: Zum einen wollte er bei der sich rasch in Deutschland ausbreitenden Pandemie als Virologe nicht tatenlos zusehen. Zum anderen wusste er um den Mangel an wissenschaftlichen Ergebnissen zur Letalität und den Infektionsketten des neuen SARS-CoV-2 Virus. Für seine Studie in Heinsberg benötigte er sofort Gelder in dem ansonsten durch lange Antragsverfahren eher trägen Wissenschaftsbetrieb. Kontakte zur Landesregierung NRW waren daher für eine rasche Förderung der Studie notwendig.
Von Corona Experten
Der Autor beschreibt seine Funktion als Angehöriger des Expertenrates, den Ministerpräsident Laschet in NRW im April 2020 gegründet hatte. Ein Gremium bestehend aus zwölf Experten aus Medizin, Psychologie, Rechtswissenschaften, Soziologie und Wirtschaft „deren Wissen gebündelt werden sollte, um ganzheitliche Ansätze im Umgang mit der Pandemie zu entwickeln“.
Er beschreibt die erste Sitzung dieses Expertenrates am 3.April 2020. Streeck wird zu dieser Videokonferenz aus der Schule in Gangelt, gerade seiner Schutzausrüstung und FFP3 Masken entledigt, zugeschaltet. Er beschreibt den positiven Druck auf die Ergebnisse der Studie von Seiten der Politik und das gespannte Warten auf die Daten der Biostatistiker bei den Auswertungen. Das Buch zeigt den Lesern ein Leben von Virologen aus erster Hand.
Virologe Prof. Hendrik Streeck lässt sich über die Schulter blicken
Daher gibt der Virologe hier Einblicke. Zum Beispiel darüber, wo sich solche Menschen von seinem Fach sonst noch so in ihrer Laufbahn herumtreiben – etwa in Uganda oder Südafrika.
Streeck berichtet, wie er sich bei einer Operation eines an AIDS erkrankten Südafrikaners mit dessen Blut kontaminiert und ihn nur eine sofortige medikamentöse Prophylaxe vor einer HIV-Infektion beschützte. Er selbst begann seine Medizinische Laufbahn an der Charité, 2019 wurde er als Nachfolger von Prof. Drosten zum Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsklinik Bonn berufen.
Seine Forschungsschwerpunkte waren bisher Prävention und Impfstrategien bei HIV. Daneben ist er Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Aids-Stiftung und Präsident der Welt-Aids-Konferenz in Berlin, die im Juli 2021 in Berlin stattfindet. Nun, so bleibt es dann nicht aus, dass sich einer der führenden Experten im Hinblick auf Corona-Viren weltweit, der Kollege Christian Drosten, Mitentdecker des SARS-CoV-1 Virus 2003 und Direktor des renommierten Instituts für Virologie der Charité in Berlin, kritisch zu den Studienergebnissen seines Nachfolgers in Bonn äußert.
Kritik vom Establishment kommt weltweit eigentlich immer in ähnlicher Form. Und wenn sie besonders gemein sein soll. dann erfolgt eine reduzierende Bemerkung im Stil von: Ihr Beitrag gibt nichts eigentlich Neues. So wird dann auch Drosten mit Aussagen in den Medien zitiert, dass die Heinsbergstudie mit einer Letalitätsberechnung von 0,37 nichts Neues liefere: „… von einer solchen Letatität sei man schon lange ausgegangen“.
Streeck beschreibt die Kritik seines Kollegen detailliert. Die geringe Anzahl der Studienteilnehmer und verweist auf weitere „angeblich” nicht erfüllten Kriterien für Studien. So unterstellt Drosten, dass Streeck aus diesem Grund die Studienergebnisse nicht auf einem sogenannten Preprint-Server vorab veröffentlicht und der wissenschaftlichen Welt vorenthalten habe. Die Details dazu, wie ihm dann geschah, also Streeck, hat dieser in dem Kapitel „Shitstorm” zusammengefasst.
Wie die Medien mit Hendrik Streeck verfahren
Generell wird Streeck später von den Medien vorgeworfen, die Ergebnisse der Studie seien gezielt eingesetzt worden, um die Stimmung für Lockerungen in der Bevölkerung zu erzeugen.
Der Podcast zu Corona von Prof. Steeck im Bayrischem Rundfunk wurde damals umgehend eingestellt, der Podcast von Christian Drosten und Sandra Ciesek gibt indessen auch 2021 weiter wöchentliche Einblicke in neue Erkenntnisse zur Pandemie. Bildlich vorstellen kann sich der Leser die Situation, als Streek in der Nähe seiner Wohnung auf der Straße von des Pressesprecherin des Bonner Klinikums darüber informiert wird, dass er zu dem Gespräch mit dem Heute Journal explizit wieder ausgeladen wurde.
Fehler in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der PR-Agentur Storymaschine räumt Streeck ein, gegen die ihm sonst vorgeworfenen Fehler zum Studiendesign seiner Heinsberg-Studie wehrt er sich in seinem Buch. Er beschreibt die damalige Zeit als einen Spießrutenlauf. Den Höhepunkt der Angriffe erlebt ein Wissenschaftler, wenn der Staatsanwalt kommt. Der Autor wurde 2020 zunächst bei der Ärztekammer und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) angezeigt und dann noch bei der Staatsanwaltschaft wegen Erfindung von Forschungsergebnissen und Täuschung der NRW-Landesregierung.
Der Autor beschreibt die Unruhe seiner Universitätsleitung, die Anklagen erwiesen sich erst später für null und nichtig. Der Leser bekommt hier autobiographische Einblicke in eine bewegte Zeit des Wissenschaftlers Streeck und auch eine Ahnung, warum dem Hendrik Streeck das alles passiert. „Vielleicht hatte ich zu lange in den USA gelebt“ und „Es ging um parteipolitische Spielchen in denen ich plötzlich gefangen war. Nun, Streeck war keiner der wissenschaftlichen Berater der Kanzlerin Merkel in Berlin, vielleicht hätte sein Arbeit sonst weniger Gegenwind erzeugt.
In Sachen Corona Politik
Der Teil zum politischen Geschehen nimmt nur wenige Kapitel ein. Viel eingehender erklärt der Autor dem Leser gut verständlich den Aufbau und die Umsetzung seiner Studie. Streeck beschreibt, wie er wissenschaftlich die Karnevalssitzung in Gangelt in Bezug auf das Infektionsgeschehen untersucht. Infizierte aus Zuluft- und Abluftbereichen werden analysiert und sogar die Gruppe der Raucher. Diese hatten auf dieser Sitzung ein geringeres Infektionsrisiko. Mehr an der frischen Luft, mehr in Nähe der Türen aufgehalten, auch solche Details erfährt der Leser. Zum Beispiel, dass bei Menschen, die jemanden im Auto zu der Veranstaltung hin- und zurückbrachten, so gut wie keine Infektionen erfolgten. Und von den Eltern, die mit ihren Kindern die Sitzung früh verlassen hatten, infizierten sioch nur wenige.
All diese Ergebnisse sind für das Verständnis der Pandemie und deren Eindämmung von Wichtigkeit. Allein, dass sich von den Wissenschaftlern bei Nutzung der FFP-2 Maske bei den vielen Infizierten in Heinsberg niemand angesteckt hat.
Zum Schluss der Rezension die Antwort des Virologen.
Und noch ein wenig mehr …
Das Buch ist die richtige Antwort auf die in 2020 sicherlich nicht faire Behandlung des Wissenschaftlers Streeck durch die Medien und durch manche Kollegen. Der Leser erfährt tiefe Einblicke in den Wissenschaftsbetrieb und bekommt eine Ahnung wie Politiker mit diesem Betrieb verzahnt sind, oder auch nicht. Er erkennt, wie Wissenschaftler mit aktuellen Daten zu Risiken der Pandemie nicht immer in die gewünschte politische Darstellung der Gefahrenlage passen. Kommen wir zu Wertung: Das vorliegende Buch ist informativ und lesenswert. Dies übrigens auch für wissenschaftliche Laien!
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Autor der Rezension:
Dieter Mainka
16.5.2021
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Dokumentation über Hendrik Streeck
Prof. Hendrik Streeck legt das aktuelle Wissen zum Coronavirus und dessen Ausbreitung in diesem ZDF-Dokumentarfilm (von März 2021) dar. Zudem verweist er darauf, welche Viren-Szenarien noch entstehen können. Auch geht er darauf ein, wie ein optimaler Umgang mit der Pandemie aussehen sollte. Zudem wird auf die entscheidende Karnevalssitzung von Gangelt im Landkreis Heinsberg im Jahr 2020 zurück geschaut.
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Eine Talkshow mit Hendrik Streeck
Virologe Hendrik Streeck gibt Persönliches von sich Preis – und referiert über neueste Forschungsergebnisse zu Corona in der 3nach9 Talkshow.
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Hendrik Streeck
Hendrik Streeck, geboren am 7. August 1977 in Göttingen, ist ein deutscher Virologe. Als solcher ist er seit 2019 Direktor des Institutes für Virologie und HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn.
Anfang 2020 leitete Streeck die COVID-19 Case-Cluster-Study, welche sich auf die Gemeinde Gangelt in Nordrhein-Westfalen konzentrierte. In einer Pressekonferenz mit Ministerpräsident Armin Laschet empfahl Streeck die Einleitung einer Rücknahme der Beschränkungen für die Bevölkerung.
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