Eher eine spirituelle Krise: Die Philosophin Olivia Mitscherlich-Schönherr zitiert in Sachen Coronakrise die Bibel und Sokrates. Daneben reflektiert sie durchaus spirituell über das Zitterrochen aus alten Zeiten.
Aber zuerst erklärt Olivia Mitscherlich-Schönherr, dass selbst „konservative“ Christen die Coronakrise spirituell nicht für eine Strafe Gottes halten. Allerdings bevorzugt diese Gruppe zumeist eine längere Erzählung, wie man solche halt auch aus der Bibel kennt, als mögliche Begründung der Epidemie. „Sie zaubern dann eine Verschwörungstheorie aus dem Hut und sagen: Es gibt hier irgendwelche dunklen Mächte des Bösen, die uns in unserem Eigenen gefährden.“
Olivia Mitscherlich-Schönherr verweist auf den Umstand, dass die Bibel wiederum selbst eine lange spirituelle Erzählung ist. Das was im Alten Testament erzählt wird, fasst sie mit dem lapidaren Satz zusammen: „Die Juden machen nur Mist.“

Olivia Mitscherlich-Schönherr zitiert bei Corona die Bibel und Sokrates. Die Coronakrise ist für sie kaum medizinischer Natur sondern eher spirituell.
Aber auch im neuen Testament entdeckt die Theologin das Bild einer besonderen Erzählung. Schließlich umgibt sich dort Jesus „nur mit Versagern, mit Verbrechern und so weiter“. Diese Beobachtungen fasst sie schließlich derart zusammen: „Es wird immer darauf Wert gelegt: Wir sind unsicher, wir wissen auch nicht genau, wie das Ganze gehen soll und wir tappen irgendwie darum herum.“
Über das Zitterrochen des Sokrates
Olivia Mitscherlich-Schönherr führt an, dass Sokrates klar und deutlich sagte, dass „er weiß, dass er nichts weiß“. Unter anderem beschrieb sich jener und seine Denkweise als Zitterrochen. Wird letzteres berührt, so entsteht aufgrund dessen eine Lähmung, welche die Möglichkeit bietet, vom Rochen Abstand zu nehmen. Im übertragenen Sinne entsteht also die Gelegenheit, in den Fragen zu Corona, Gott und Mensch allzu einfache Antworten zu hinterfragen.
Heutige Fragen müssten daher lauten: Können wir diese Krise wirklich nur naturwissenschaftlich erklären? Was kommt in Zukunft in Sachen Corona noch auf uns zu. Dieses eigentlich intelligentere Vorgehen würde dann irgendwann zu tiefergehenden Fragen führen. Wie etwa: „Wer sind wir Menschen? Welcher Wirklichkeit begegnen wir hier gerade?“
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2 um 8 – mit Jakob Augstein und Olivia Mitscherlich-Schönherr
Freitag-Verleger Jakob Augstein diskutiert mit Olivia Mitscherlich-Schönherr während der Radiosendung „2 um acht“ in der Berliner Volksbühne.
Worum es geht? Vor allem um den Menschen in der Corona-Pandemie. Das ist letztloich kein Zufall, denn gerade auf diesem Gebiet ist Olivia Mitscherlich-Schönherr als anthropologische Philosophin sozusagen Fachfrau. Daneben dreht es sich auch um solche Fragen, die, so sagt die Philosophin, zuvor eher abstrakt waren – wie zum Beispiel: Was bedeutet heute eigentlich Freiheit? Warum war uns die eigene Sterblichkeit zuvor nicht so bewusst. Oder was ist eigentlich eine Krise beziehungsweise was für eine ist die Pandemie?
Daneben sieht Olivia Mitscherlich-Schönherr die Debatten der letzten Monate lediglich von zwei Standpunkten bestimmt: Individuum versus Gemeinschaft und Lebensschutz versus Selbstbestimmung. Das greift aber ihrer Meinung nach zu kurz. Schließlich tun sich da bei genauerer Betrachtung auch ganz andere Fragen auf: „Was bedeutet Menschsein in der Corona-Pandemie? Oder wie hat sich eigentlich unser Bild des Menschen in dem einen Jahr Krisenzeit verändert?
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Über Olivia Mitscherlich-Schönherr
Dr. Olivia Mitscherlich-Schönherr, Jahrgang 1973, forscht seit 2017 als Dozentin an der HfPh München zur Philosophischen Anthropologie der Grenzfragen menschlichen Lebens. Sie ist Enkelin des berühmten Arztes und Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich.
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