In diesem Sinne interpretiert die renommierte Literaturkritikerin Nancy Katherine Hayles die von Corona geprägte Gegenwart und mögliche Zukunft. Diese ist nach ihrer Auffassung einfach dazu da, neue Gedanken zu denken, Ideen auszuprobieren oder Formulierungen vorzuschlagen.
Eh es um die Zukunft oder Gegenwart bezüglich Corona geht, sollte man sich bezüglich zweier Dinge über Nancy Katherine Hayles Vergangenheit im Klaren sein: Sie hat erfolgreich Chemie studiert und darauf Literatur. Aus letzterem entstand dann eine angesehene Karriere als Literaturkritikerin wie auch Professorin.
Daneben hat sie so etwas wie eine eigene Philosophie entwickelt, in deren Zentrum das Wortpaar „Human“ und „Posthuman“ steht. Insofern orientiert sich der humane Ansatz an den Aufklärungsvorstellungen des liberalen Humanismus. Ihr Begriff „Posthuman“ geht wiederum davon aus, dass die menschliche Intelligenz von Maschinen koproduziert wird. Hayles betrachtet das Bewusstsein als ein Epiphänomen und ordnet den menschlichen Körper letztlich als eine Art Prothese für den Geist ein. Zudem betont sie, dass es in der posthumanen Sichtweise „keine wesentlichen Unterschiede oder absoluten Abgrenzungen zwischen körperlicher Existenz und Computersimulation gibt.“
Daneben verweist Nancy Katherine Hayles in einem Essay „Novel Corona: Posthuman Virus“ (veröffentlicht auf CriticalInquiry), dass der Mensch in seiner evolutionären Nische eine unverkennbare Dominanz erlangt hat. Dies geschah nicht zuletzt, indem dieser seine Fähigkeiten mit fortschrittlicher Technik erweitert hat. Ähnlich erfolgreich waren die Viren, nur mit einer entgegengesetzten Strategie: Diese haben sich, salopp gesagt, zu einer „höheren Einfachheit“ entwickelt.
Ein Blick zurück
Als RNA-Viren bezeichnet man eine heterogene Gruppe von Viren, die als gemeinsames Strukturelement ein Genom aus Ribonukleinsäure (RNA) aufweist. Bereits in den frühen 1970er Jahren wurden eine Reihe von Experimenten an der Universität von Illinois durchgeführt, welche zeigten, dass sich eine virale RNA selbst replizieren kann.
Daneben begünstigte der selektive Druck jene Entitäten, welche sich am schnellsten replizieren können. Letzteres führte dazu, dass die Viren jene genetischen Informationen, die nicht mit der RNA-Replikase zusammenhingen, nahezu gänzlich verloren gingen. Auch andere Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Dank der schnellen Replikation wie auch der Fähigkeit, sich in der Luft zu verteilen und viele Stunden auf Oberflächen leben zu können, kann sich das Virus hervorragend ausbreiten.
Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen möglicherweise am ansteckendsten sind, bevor sie Symptome zeigen. Insofern bezeichnet man das Coronavirus auch als sogenanntes Stealth-Virus. Wiederum lautet eine bekannte These, dass sich diese Stealth-Strategie entwickelte, um zu einer maximalen Ausbreitung zu gelangen. Indem die Menschen nicht sofort erkranken, verbreiten sie das Virus weiter. Aber nicht nur das zeichnet das Coronavirus (als dem Menschen ebenbürtig) aus, sondern auch in evolutionärer Hinsicht hat es „den Jackpot geknackt“ – unterstreicht Hayles: Schließlich ist dem sogenannten Coronavirus der schwierige Sprung von Fledermäusen hinüber zum bevölkerungsreichsten Säugetier des Planeten erfolgreich gelungen. Gemeint ist hier der Mensch.
Ein erstes Learning – für die menschliche Zukunft nach Corona
Nancy Katherine Hayles fragt sich schließlich, was wir aus der eigenen Lage lernen können. Zuerst einmal stellt sie fest, dass obwohl Menschen zwar in eigenen ökologischen Nische äußerst dominant sind. Andererseits existieren da noch viele andere Nischen , die sich mit der menschlichen überschneiden. Jene folgen allerdings anderen Regeln. Hayles bemerkt dazu etwas trocken, dass es offensichtlich wird, dass Menschen nicht nur voneinander, sondern auch von der Ökologie der Erde abhängig sind.
Sie selbst hält die Menschheit wiederum auf eine solche Krise schlichtweg für unvorbereitet. Daneben weist sie auf einen interessanten philosophischen Umstand hin: Einerseits ist die Viruskontamination zwar eine tödliche Bedrohung für den Menschen, andererseits setzen Viren da an, wo die menschliche Fortpflanzung beginnt – nämlich in der zwischenmenschlichen Begegnung.
Drei Begriffe
Trotz ihrer verheerenden Auswirkungen lädt uns die Pandemie ein, neue Gedanken zu denken, Ideen auszuprobieren oder Formulierungen vorzuschlagen, die zu einer besseren Zukunft führt. Dies unterstreicht Nancy Katherine Hayles und wünscht sich somit eine gründliche Neudefinition der Konzepte und Vokabeln, mit denen die komplexe Beziehung Mensch und Virus für die Zukunft neu beschrieben werden kann.
Trotz ihrer verheerenden Auswirkungen lädt uns die Pandemie ein, neue Gedanken zu denken, Ideen auszuprobieren oder Formulierungen vorzuschlagen, die zu einer besseren Zukunft führt.
Hierzu schlägt sie drei Begriffe vor: Der erste definiert die gesamte Menschheit als eine Spezies. Daher werden die Gemeinsamkeiten hervorgehoben, welche alle Menschen miteinander teilen. Dies geschieht ungeachtet aller ethnischen, rassischen oder geopolitischen Unterschiede. Mit dem zweiten Begriff, „species-in-biosymbiosi”, ist die Art und Weise gemeint, in der sich verschiedene Spezies gegenseitig durchdringen. Und schließlich lautet der dritte Begriff „species-in-cybersymbiosis“. Hierbei wird die Art und Weise hervorgehoben, in der künstliche Wirkstoffe, insbesondere künstliche Intelligenzen, aktiv mit Menschen zusammenarbeiten.
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Nancy Katherine Hayles
Nancy Katherine Hayles (* 16. Dezember 1943) ist eine amerikanische Literaturkritikerin. Sie ist Professorin und Direktorin für Graduiertenstudien im Bereich Literatur an der Duke University. Hayles arbeitete zuerst als Chemikerin in der Forschung sowie als Beraterin im Bereich Chemie. Erst darauf folgte ein Literaturstudium.
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