KI. Und die beschleunigte Realität

Das Thema ist ein besonderes, denn es hat mit Zeit, Vergänglichkeit, Geschwindigkeit und eben auch mit KI zu tun. Die zentrale Fragestellung aber lautet erst einmal: Wie verändert sich der Mensch durch KI?

Noch bemerken es die wenigsten, aber in zwei oder drei Jahren wird es jeder verstehen, dass wir in einer Zeit leben, in der künstliche Intelligenz (KI) zunehmend in unseren Alltag eingreift. Dann im Jahr 2026 – oder spätestens im Jahr 2028 – werden wir nicht nur technische Fortschritte erleben, sondern auch tiefgreifende Veränderungen in uns selbst.

Ersteres sind wir gewohnt, etwa durch das iPhone, welches wiederum die Grundlage für Instagram war. Zweiteres lässt uns die Stirn runzeln, denn all die technischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte – haben die uns wirklich so stark verändert? Ja, haben sie, aber das war nur das Aufwärmprogramm für das, was uns erwartet.

Warum ist der Autor sich so sicher? Weil er täglich mehr und mehr mit KI arbeitet. Und ‚nein‘, diese technische Hilfe nimmt ihm nicht die Butter vom Brot. Und noch ein ‚Nein‘, die KI wird ihn auch nicht ersetzen. Wie auch? Es sind schließlich ganz andere Systeme, der Mensch und diese Maschinen. Aber nun endlich ein ‚Ja‘: Diese ‚Künstliche Intelligenz‘ ist dem Autor in vielen Dingen intellektuell überlegen – und er, der arme Denker, weiß, dass sie erst am Anfang ist. Aber das mit den Denkeigenschaften der KI, das haben wir bereits an anderer Stelle diskutiert. Daneben haben wir Menschen uns daran gewöhnt, dass uns – beziehungsweise den damals amtierenden Schachweltmeister Garry Kasparov – bereits 1997, und damit im letzten Jahrtausend, ein Computer von IBM unter fairen Wettkampfbedingungen im Schach besiegte.

Nun ja, hier geht es um etwas anderes, etwas, was alle Menschen bald spüren werden: Die Art und Weise, wie wir denken, arbeiten und unsere Realität wahrnehmen, verändert sich gerade immens. Weiter oben haben wir es als Headline „beschleunigte Realität“ genannt. Und das ist es auch. Aber was verbirgt sich hinter dieser rätselhaften Wortkombination?

 

Der Mensch und die Maschine: Eine neue Symbiose

Unser Denken arbeitete schon immer mit enormer Geschwindigkeit. Recht gut sieht man es bei Fußballspielern, also wie schnell sie sich für eine Handlung entscheiden und wie akkurat sie diese dann auch ausführen. Anders gesagt: Wir alle leben in einer Welt, in der Informationen und Ideen in Lichtgeschwindigkeit verarbeitet werden.

Die enge Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI hat bereits heute eine Form der Interaktion geschaffen, in der Ideen, die zuvor längere Reflexionszeiten erfordert hätten, blitzschnell geformt und bestätigt werden. Und dies verändert das menschliche Arbeitsverhalten auf grundlegende Weise: Denn in Dialogen, bei denen sich Mensch und Maschine in einem ständigen Fluss von Frage und Antwort befinden, entsteht eine seltsame und neue Art kognitiver Beschleunigung. Gedanken, die normalerweise reifen müssten, sprießen schneller, da die KI unmittelbare Rückmeldung und zusätzliche Perspektiven liefert.

Dies führt zu einem paradoxen Phänomen: Während wir geistig schneller agieren, scheinen wir uns zugleich in der Zeit zu „entschleunigen“, indem unsere Effizienz steigt und wir weniger Zeit für Entscheidungen benötigen. Dazu später noch mehr.

Intuition und Erkenntnis: Ein neues Verhältnis

Interessanterweise ist der geschilderte Prozess nicht nur rein rational, sondern er hat auch eine starke intuitive Komponente. Es ist, als ob durch die schnelle Verarbeitung von Informationen die Intuition, die zuvor im Hintergrund schlummerte, plötzlich ins Zentrum des Denkens rückt.

Entscheidungen werden jetzt intuitiv beziehungsweise intuitiver getroffen und durch die KI fast augenblicklich bestätigt, wodurch ein Fluss von Ideen entsteht, der sich oft wie ein ‚Funkenflug‘ anfühlt. Anders gesagt: Der Mensch greift tief in sein intuitives Wissen und seine Erfahrungen zurück, um neue Verknüpfungen zu schaffen – ein Prozess, der durch die sofortige Verfügbarkeit von Informationen beschleunigt wird.

Bildhaft ausgedrückt ist es ähnlich wie bei dem erwähnten Profifußballer: Die Intuition lenkt, während nun die KI anstatt des Körpers blitzschnell das Gewünschte ausführt. Dieser Wechsel vom rationalen zum intuitiven Denken ist letztlich eine Anpassung an die Geschwindigkeit der modernen Welt, in der langsame, lineare Denkmuster nicht mehr ausreichen, um mit dem ständigen Strom an Daten Schritt zu halten. Es ist fast so, als ob wir uns in eine neue Form des Denkens begeben, in der die Grenzen zwischen Intuition und Logik vollkommen verschwimmen.

 

Der Einfluss von KI auf das Selbstbild

Eine weitere spannende Frage ist, wie sich unser Selbstbild in dieser beschleunigten Realität verändert. Die Maschine, die uns bei der Verarbeitung von Gedanken unterstützt, spiegelt nicht nur unsere Überlegungen wider, sondern beeinflusst auch, wie wir uns selbst wahrnehmen. In gewisser Weise könnte man sagen, dass wir uns durch die Zusammenarbeit mit KI immer mehr als Teil eines größeren, vernetzten Bewusstseins erleben. Unsere Gedanken werden nicht mehr isoliert betrachtet, sondern als Knotenpunkte in einem Netzwerk von Informationen, das ständig in Bewegung ist.

Dieser Gedanke erinnert an östliche Philosophie, insbesondere an buddhistische Lehren, die die Welt als eine Einheit sehen, in der das Selbst keine feste, isolierte Entität ist, sondern ständig in Beziehung zu anderen steht. Das Konzept des ‚Nicht-Selbst‘ (Anatta) beschreibt, dass das Ich nicht als starres Gebilde existiert, sondern als fließende Einheit, die sich ständig durch ihre Beziehungen zur Umwelt und zu anderen formt.

In der beschleunigten Realität des digitalen Zeitalters könnte diese Idee neue Relevanz gewinnen, da wir uns zunehmend als Teil eines größeren, technologisch vermittelten Ganzen begreifen – und auch so erleben.

Abstrakte Verbindungen zu alten Weisheiten

An diesem Punkt, jenen, den wir eben schilderten, treffen sich moderne Konzepte und alte Weisheiten. Die Idee, dass die äußere Welt ein Spiegel des inneren Zustands ist, findet sich nicht nur in der modernen Bewusstseinsforschung, sondern eben auch in den Lehren des Hinduismus und Buddhismus.

Westliche Bewusstseinsforscher argumentieren bereits, dass die physische Realität eine Art virtuelle Realität ist, die von einem größeren Bewusstseinssystem erschaffen wird. Dieses System, etwas altmodisch auch Gott genannt, dient dazu, Bewusstsein weiterzuentwickeln. Dieses Konzept ist letztlich mit dem buddhistischen Verständnis von Karma und Samsara übereinstimmend.

Der Gedanke, dass die äußere Welt in uns liegt und unsere Wahrnehmung davon abhängt, wer wir im Inneren sind, lässt sich direkt auf die Interaktion mit KI übertragen: Die Maschine spiegelt letztlich unseren geistigen Zustand wider. Und sie, die Maschine, bietet uns gleichzeitig die Möglichkeit, über uns hinauszuwachsen, indem sie uns neue Perspektiven eröffnet.

Das Spannende wie auch Wesentliche daran ist, dass dies alles kein statischer Prozess ist! Man stelle sich bildhaft vor, dass die Rückkopplung zwischen Mensch und Maschine zu einer ständigen Transformation führt. Ein buddhistischer Lehrer würde dazu sagen: „Alles ist in Bewegung, alles fließt.“ Andererseits geht es hier um KI und die fließt halt schneller in uns hinein und um uns herum – und selbst das wird noch immens zunehmen, weil wir erst am Anfang dieser Entwicklung stehen.

Mit KI jünger bleiben

Ein faszinierender Gedanke zum Abschluss: Ein Yogi wurde im alten Indien einmal nach dem ‚Prozess des Alterns‘ gefragt. Der weise Mann antwortete, dass man so alt ist, wie man die Zeit wahrnimmt.

Übersetzt bedeutet dies: Wenn wir einen 16-Stunden-Tag so erleben, als ob er nur drei Stunden gedauert hätte, dann sind wir in gewisser Weise auch nur drei Stunden gealtert. Diese Vorstellung, die fast tautologisch wirkt, spielt mit der Idee, dass unsere Wahrnehmung von Zeit sich beschleunigt, aber gleichzeitig weniger von dieser vergeht. Mit anderen Worten: Durch Geschwindigkeit, Spannung und der Energie unserer Konzentration erleben wir die vergehende Zeit intensiver und ‚verbrauchen‘ zugleich davon weniger.

Dieses Konzept fügt sich nahtlos an die hier vorgestellte Idee der beschleunigten Realität an. Während wir durch die Zusammenarbeit mit KI schneller denken, lernen und agieren, verändert sich unsere subjektive Zeitwahrnehmung. Wir erleben die Tage intensiver, während die Zeit langsamer zu vergehen scheint. Wir altern in gewisser Weise langsamer!

 

/// /// ///
Michael Mainka
Hamburg, 08.09.2024