9. Dezember: Let Me Entertain You
Man kennt sich, lebte fast zusammen, „also nur ein paar Häuser weiter“, damals. Aber sie hatte nie gegrüßt. Ein befreundeter Journalist hatte es ihm gesteckt, dass sie in London wäre – und man hatte die Sache so arrangiert, dass sie an diesem Abend in ihrer Suite im „The Royal Horseguards“ mit Sicherheit sein würde. Sie würde dort ein Interview geben. Absolut sicher war also die Sache, nur noch ein Unglück oder ein Stimmausfall konnte das Kommende verhindern.
„Rob. Bist du zornig?“
„Quatsch. Ich bin ausgelassen, weil ich meinen Traum umsetze.“
„Du meinst einen geträumten Traum?“
„Richtig. Ich lasse einen echten Traum ‚echt‘ werden. Ha, ha.“
„Der, wo du unter ihrem Fenster singst?“
„Ja, du kennst dich gut aus, wer bist du eigentlich.“
„Ich bin nicht so etwas wie du. Und wenn du mich hörst, so wie jetzt, bin ich eine Art Teil von dir oder deiner Welt.“
„Klingt komisch.“
„Ist es auch. Menschlich betrachtet.“
Einen Bus hatte er gemietet und zwar in ‚Weihnachtsrot‘. Daneben hatte sich ein Schneider mit einem 12-köpfigen Team eine Woche lang mit den Weihnachtsroten-Anzügen der Musiker beschäftigt. Jetzt ist es soweit, ist Nacht über London und fährt hier unten an der dunklen Themse dieser mit Musikern vollgestopfte Bus an.
Rob singt, „das Einzige, was ich gut kann“. Und er verliert sich bereits in seinem ersten Song. Der Raum wird weit, der Blick manchmal unscharf. Die Fahrt geht weiter und er singt, so, als hätte er noch nie etwas anderes getan. Er nimmt auch nicht mehr wahr, wie die Menschen gerührt dastehen, erkennt auch nicht, dass das viele Weiß vor seinen Augen vom einsetzenden Schneefall herrührt. Kaum oder gar nicht bemerkt er, dass der Bus schon lange angehalten hat, wie sich weiter oben im Palais eine Tür öffnet und ‚sie‘ heraustritt. Was er nicht weiß, nicht wirklich bemerkt: Noch nie hat er diesen Song, „Let Me Entertain You“, so gut gesungen und nie mehr wird das Sirren in seiner Stimme so fern und doch so nah wirken.
Später, also in einer halben Stunde, der Bus ist zurückgekehrt an den Ausgangspunkt, wird ein Reporter ihn fragen, wie er auf die ‚Idee zu dieser Geschichte‘ gekommen ist. Da erst beginnen die Bilder in ihm rückwärts zu laufen, sieht er sie wirklich, sie, Madonna, auf den Balkon tretend. Ein wenig wie Marilyn erscheint sie ihm da oben. Und immer schöner wird sie – und immer geheimnisvoller werden die Klänge, als sie ihm, dem einfachen Sänger, der nichts anderes kann als singen, als sie ihm, zulächelt.
Da übertrug sich das Lächeln auf ihn und es blieb in, um und an ihm. Jetzt lächelt er immer noch und zwar den Reporter vor ihm an, jenen, der auf die Antwort seiner Frage nach wie vor wartet. Endlich besinnt er sich und antwortet er: „Ich wollte das schönste Lächeln der Welt.“ Er denkt nach, nach wie vor lächelnd und eigentlich will er nur ein wenig Spannung aufbauen, aber das weiß der andere ja nicht. „Und ich habe es bekommen. Das war die Idee.“
Eigentlich ist die Geschichte zu Ende, aber es gibt noch einen Nachtrag meinerseits: Später, viel später, wird unser Sänger an den Reporter zurückdenken, andere fragen, ob da ein solcher gewesen war. Nein, da war kein solcher, wird man ihm erklären, was stimmt und doch wieder nicht. Dieses kleine Detail möchte ich dem Ganzen jetzt noch mit einem lange währenden Lächeln hinzufügen, denn auch ich habe Träume, die auf Erfüllung warten.
09.12.2023, Hamburg
Michael Mainka
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