14. Dezember: G. und der Lebkuchenmann

Wir sitzen da und haben zuvor die frischgebackenen Lebkuchenmänner zum Verkauf aufgebaut. Also sie hat das getan, ich vergesse manchmal, dass ich nur ein Beobachter und Kommentator bin.
„Die Welt retten, wie geht das?“
„Ich trage eine Fahne und dann rette ich die Welt.“
„Mit einer Fahne?“
„Ja, das ist ein Stock und ein daran befestigtes Stück Stoff mit bunten Farben.“
„Eine Art zerzauster Zauberstab?“, frage ich, wobei das naiv klingen könnte, aber egal. Sie gibt kichernd zu bedenken, dass dies die andere Geschichte sei, die von Harry dem Zauberer. „Die kenne ich auch“, gebe ich zu bedenken. „Aber ich bin real!“ ruft sie aus. Worauf ich entgegne: „Ich auch“.

„Du? Du bist so unreal wie dieser Lebkuchenmann kein Mensch ist.“
„Und wenn der Lebkuchenmann sprechen könnte?“
„Dann ist das trotzdem nicht real.“
„Dann ist das wohl real,“ flüstere ich beleidigt.

Sie reibt sich die Augen und ehrlich gesagt, habe ich nicht damit gerechnet, aber der Lebkuchenmann bewegt sich jetzt.
„Materie ist weniger fest, als Menschen gemeinhin denken.“
Sie beobachtet weiter den Lebkuchenmann.
„Aber der kann halt nicht die Welt retten.“
„Kann er wohl. Soll ich es dir beweisen!“
„Okay.“

Siehe da, der Lebkuchenmann wackelt etwas, aber dann nimmt er die Fahne samt Stock an sich und stapft derart über den Schnee. Schließlich fällt er mitsamt Fahne in den Schnee. Ächzend hebt er den Kopf und spricht: „Ich kann nicht die Welt retten.“ Entrüstet rufe ich: „Warum?“ Seine Antwort wird mir noch lange zu denken geben: „Weil die Welt gar nicht gerettet werden will – erst recht nicht von mir.“

Hamburg, 13.12.2023
Autor:
Michael Mainka