Bruce springsteen an einem Weiher

15. Dezember: The Boss

Einmal im Jahr kommst du hierhin, an diesen Ort, wo alles seinen Anfang hatte, da besuchst du sie, die kleine Wasserfee, die hier lebt und die dir damals sagte, dass du einmal der ‚Boss der USA‘ werden würdest, ‚der wahre Boss‘, derjenige, welcher der stärksten Nation der Welt ihre Energie gibt. Als diese Geschichte begann, damals, da hattest du schlechte Schulnoten, dein Vater schrie dich unentwegt an und objektiv wies alles darauf hin, dass du entweder in der Gosse oder im Irrenhaus landen würdest.
„Ja.“
Aber etwas in dir bildete sich ein, dass da 12 Meilen entfernt ein Weiher wäre und sich in oder auf diesem etwas befände, was auf dich warten würde. Du glaubtest deinen Träumen nicht ganz, aber sie und ihre Bilder kamen zurück, nicht jede Nacht, aber immer wieder.
 „Ja.“
Du fuhrst dann irgendwann dahin.
„Ja.“
Du stiegst aus. Und dann kämpftest du dich durch die dichten Büsche und Bäume, die eine Art Mauer bildeten, die wahrscheinlich noch nie ein Mensch zuvor durchdrungen hatte.
„Ja.“
Das kleine Wesen, gekleidet in roten Stoff, schwebte über das Wasser und somit auf dich zu. Es hatte dich erwartet und war vielleicht so groß wie deine Hand. Bis heute könntest du es niemandem beschreiben. Auch würden sie dich dann für verrückt erklären und damit ebenso das Wesen.
„Ja.“

Damals sagte dir das Wesen dein Leben voraus, aber nur die wichtigsten Eckpunkte. Das wiederum war so präzise, dass du drei Mal ganz genau wusstest, welchen Vertrag du unterschreiben würdest, zweimal, welche Frau du länger anschauen solltest. Und einmal wusstest du plötzlich ganz genau, in welche Straße du den Wagen nicht lenken solltest, weil da ein Unfall geschehen war, in den du dann verwickelt werden würdest. Du bist dann in die nächste Straße abgeboben – und aus der Entfernung hast du gesehen, dass es stimmte: Da in der Straße zuvor war tatsächlich der prophezeite Unfall geschehen.
„Ja.“
Das Wesen wollte nichts als Dank. Gar nichts.
„Ja.“
Das Wesen sagte nur, damals, dass es eine Option sei und das Einzige, was du tun müsstest, wäre dir zu vertrauen und letztlich auch dieser Schrulligkeit, dass da weit draußen etwas lebt, was auf dich aufpasst.
„Ja“
Das ist dein Geheimnis.
„Ja, und es ist ein schönes.“
Seit mehreren Jahren sagt dir das Wesen nichts mehr. Du kommst einfach jedes Jahr. Ihr schaut dann über das Wasser oder je nachdem über das Eis. Ihr seid euch ungewöhnlich nah, so als wenn sich Dimensionen überschneiden. Man kann es nicht beschreiben, kann es noch nicht einmal fühlen, nur du kannst es so erleben – und es macht dich stark.
„So ist es.“
Irgendwann wird das Wesen dich verlassen.
„Irgendwann.“

Wenn alles mitgeteilt und alles erfahren ist?

„Ja.“
Noch kannst du nicht loslassen. Noch musst du kommen. Aber heute könnte das letzte Mal sein.
„Ja.“
Ihr werdet euch wiedersehen. Woanders. Ganz woanders.
„Ja. Das war die allererste Prophezeiung.“ 
Ich verstehe.

Hamburg, 16.12.2023
Autor:
Michael Mainka

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