Michael Taussig war wahrscheinlich der erste seriöse Denker, welcher den Schrecken vor Covid-19 verlor. Er betonte bereits in den ersten Wochen das in der Pandemie verborgene Absurde.
Zuerst erst einmal stellte ihm ein Freund die Frage zum Schamanismus und wieweit dieser eine Antwort auf die Pandemie bieten kann. Dieser Freund wuchs im mittleren Westen der USA auf, einer bodenständigen Gegend, was die Frage nochmals ungewöhnlicher machte.
Und Taussig? Der beginnt eben mit dieser Frage einen Artikel, in dem es unter anderem darum geht, ob Medizinmänner und -frauen uns Fortschrittsgläubigen aus der Seuchenpatsche helfen könnten. Diese Frage bleibt unbeantwortet, aber ist immerhin so interessant, dass die Beschäftigung damit einiges über uns moderne Kultur verrät.
Schamanismus oder
Performancekunst als Hilfe
Ja, Schamanismus ist letztlich eine tiefgehende Performance und damit keine oberflächliche Zaubershow aus Las Vegas. Das erläutert Taussig aber nicht, sondern betont lediglich, dass er die Frage des Freundes für vernünftig hält – mit der Einschränkung, dass „alles davon abhängt, welche Art von Schamanismus und welche Art von Hilfe“ gemeint ist.
Er selbst hält den Schamanismus für keinen Ersatz bezüglich Wissenschaft und Virologie. Aber als Performance-Künstler könnte ein Schamane durchaus die Panik dämpfen, die soziale Isolation abmildern wie auch den sozialen Zusammenhalt fördern.
Damit wäre erst einmal die Frage beantwortet, inwieweit Schamanismus ein Teil der Lösung ist. Aber es geht noch weiter, denn Taussig verweist darauf, dass man während der „Occupy Wall Street“ in NYC brennenden Salbei riechen konnte. Dies wurde, erklärt er, vom Schamanismus der amerikanischen Ureinwohner gelernt.
Der Kult
„Allein in Städten mit leeren Straßen und Plätzen zu sein, ist schamanischer als die „echte Sache“,“ schreibt Taussig. Die These des kurzen Artikels ist es letztlich, dass das, was wir in Zeiten des Lockdowns erleben bzw. erlebten, durchaus an surreale Kunst erinnert. Die Pandemie wird dabei auch als eine Art LSD-Rausch betrachtet, worin die Bilder von Künstlern wie de Chiricos oder Dalis lebendig werden. Und im Stil von Marcel Duchamp ging es schließlich sogar um Toiletten und dazugehöriges Klopapier. Letzteres ist lustig, war es aber in der ‚Wirklichkeit‘ nicht.
Taussig verweist vor allem auf surreale Kunstrichtungen, um auf das an sich surreale der Pandemie hinzuweisen. Dies interpretierend könnte man auch sagen, Corona ist eine kulturelle Angelegenheit, in welcher die Ängste unseres Unterbewussten einem surrealer Künstler gleich die Welt umformen.
(Bildquelle Wikipedia Common)
Surrealismus. Entzauberung und Albträume
Michael Taussig fragt sich, wie wir den Klimawandel bisher interpretiert haben. Seiner Meinung nach entzauberten die westlichen Kulturen schon vor langer Zeit die Natur. Insofern leben wir heute in einem nackten Universum. Dieses erscheint mitsamt seiner dunklen Ästhetik als surrealer Albtraum, spätestens wenn wir uns ängstigen.
Ob also die Pandemie den Surrealismus zurückkehren ließ? Schließlich wurde zu Beginn der Pandemie der „Tod in Venedig“ tatsächlich wirklich. Daneben flohen „Touristen in ihren „Pestkreuzfahrtschiffen“ in einer Art von Wiederholung von Michel Foucaults „Great Confinement … “. Nun ja, Taussig zumindest spielt mit diesem Gedankengang.
Ironie und „wahre Medizin“
in der Epidemie
Schamanismus oder Surrealismus hin oder her: Waren die Menschen früherer Kulturen abergläubisch, so sind wir einen Schritt weiter, indem wir in Krisenzeiten Toilettenpapier in großen Mengen horten – erläutert Taussig ironisch.
Darauf verrät er dann doch, was wohl die beste Medizin wäre: Es ist das „göttliche Summen des entzauberten Universums, das die Türen der Wahrnehmung öffnet, genauso wie das Virus“. Zugegeben, es dauert, bis man diesen abschließenden Satz versteht.
Und dann? Dann wird man möglicherweise das zuvor Gelesene, Verstandene und Verdaute als eine Art sinnvollen Werbetext deuten können, welcher empfiehlt, den echten Zauber des Lebens zu entdecken. Es könnte sich lohnen!
Film über einen Vortrag von Michael Taussig, worin dieser sich und seine Arbeitsweise vorstellt.
Michael Taussig
Michael Taussig (* 3. April 1940, Sydney) ist ein australischer Anthropologe. Als studierter Mediziner promovierte er im Fach Anthropologie. Er bekleidet eine Professor an der Columbia University. Taussig publiziert im Bereich der medizinischen Anthropologie und erlangte Bekanntheit für seine Auseinandersetzung mit marxistischen Theorien zum Warenfetischismus im Kapitalismus, wobei er sich intensiv mit Walter Benjamin beschäftigte.
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