Nach Markus Gabriel gibt es nach Corona kein Zurück mehr in eine frühere Normalität. Das ist eine Meinung und zugleich eine für einen Philosophen starke Ansage.
Daneben betont der deutsche Philosoph, dass eben dieses Früher selbstzerstörerisch war. Daher haben die Menschen systematisch an der eigenen Selbstausrottung gearbeitet. Da diese Vergangenheit nun einmal ein Irrtum war, muss man nach vorne denken. Gabriel weist zudem darauf hin, dass der westliche Mensch seit etwa 30 Jahren glaubt, dass ein in Wirklichkeit schlechtes Leben ein gelungenes sei. Insofern scheint es ihm nun an der Zeit zu sein für die Erkenntnis und Philosophie, dass ein gutes Leben nicht darin besteht, sinnlos Konsumgüter anzuhäufen.
Philosophisch:
Vom Irrtum zum Potenzial
Zuerst einmal sieht Gabriel gegenwärtig eine große „moralische Errungenschaft” in dem Umstand, dass unsere Gesellschaft bereit war und ist, die Mehrheitsrechte zugunsten einer Minderheit einzuschränken. Allerdings glaubt er, dass das alte Bild von einem egozentrischen Konsumenten falsch war. Genauso falsch wie das neue Bild, nach dem wir ein bloßer Virenträger sind.
Wir haben eine politische Monokultur, und alle halten sich auf unsicherer empirischer Grundlage an dieselben epidemiologischen Modelle …
Ein Ausweg aus dem Dilemma wäre es hier, die positiven Erfahrungen der Rücksichtnahme auszuweiten. Das sagt Markus Gabriel und führt zudem an, dass eine Erweiterung der Moral nicht an der Landesgrenze aufhören kann – also grenzenlos ist.
Eine Art Renaissance des Geistes – und dies dann von den Philosophen?
In seinem neuen Buch „Fiktionen“, legt der Philosoph dar, dass die Dimension unseres Geistes keinen Deut weniger wirklich ist, als das, was Natur- und Technikwissenschaften untersuchen. Er weist zudem darauf hin, dass man naturwissenschaftliche Fakten stets im Kontext von Modellen darstellt, aber eben diese Modelle nichts anderes als Fiktionen sind. Insgesamt attestiert Gabriel unserem Weltbild eine massive Schieflage. Naturwissenschaft und Technik, so betont er, sind stellvertretend durch Virologie und Computersimulationen an Stelle der Religion getreten. Letztlich führen aber diese Umstände zur aktuellen Krise. Anders gesagt: Computersimulationen sind halt nur Simulationen und bieten ‚erst einmal‘ weder Heimat noch Fundament im Sturm.
Der Philosoph spricht über das Dilemma der Philosophen
In einem Interview mit der FR (Anfang Juli 2020) gibt Gabriel recht offen zu bedenken, dass viele Philosophen leider nicht mehr den Anspruch haben, „das zu tun, was Hegel uns aufgetragen hat: Die eigene Zeit in Gedanken zu fassen.“ Er vergleicht dies mit Kunststudenten, die erfolgreich eine Technik lernen, aber trotzdem keine für die Gegenwart relevanten Kunstwerke erschaffen. Hingegen muss große Philosophie seines Erachtens, „… den Anspruch haben, ihre Zeit in Gedanken zu fassen“.
An anderer Stelle geht der Philosoph auf den Umstand ein, dass Ökonomen sehr gerne die Zukunft vorhersagen wie auch kontrollieren möchten. Dieser Versuch ist spätestens seit der Finanzkrise als gescheitert anzusehen. In der Coronakrise geht es daher derart weiter. Auch gibt es nach Markus Gabriel keine wirtschafts-wissenschaftlichen Modelle, welche eben diese Zukunft kontrollieren könnten. Lapidar bemerkt er dazu, „das Meiste davon ist Humbug.“
Dem ist noch hinzuzufügen, dass die Deutung der zukünftigen Geschehnisse (etwa Corona und die Folgen) nicht nur ein spannendes Gebiet für minderbegabte Ökonomen ist, sondern ebenso für die theoretische Physik. Leider geht Gabriel auf letzteres nicht weiter ein.
Ein partielles Verständnis
In einem Interview mit ‚ZDF heute‘ (August 2021) zeigt der Philosophie-Professor lediglich ein „partielles Verständnis“ für einen möglichen Ausnahmezustand bezüglich der Corona Pandemie. So bezeichnet er es übrigens selbst. Vor allem fehlt ihm bei den Bund-Länder-Beschlüssen eine klare Ansage, wann und unter welchen Bedingungen man bereit ist, diesen zu verlassen.
Gabriel kritisiert die Medien wie auch Teile der Gesellschaft, da hier Ungeimpfte an den Pranger gestellt werden. „Wir suchen nach Schuldigen einer Naturkatastrophe“, betont Gabriel und unterstreicht, dass die Impfung kein Weg aus der Pandemie außerhalb der politischen Maßnahmen sei. Weiter: „Die Pandemie wird nicht dadurch enden, dass 75 oder 80 Prozent der deutschen Bevölkerung geimpft sind.“ Denn das beendet ein globales Problem seiner Meinung nach in keinster Weise.
Wiederum hält er es zu diesem Zeitpunkt für moralisch legitim, „dass wir unter klar definierten Bedingungen eine Impfpflicht erlassen“. Die betreffende Moral seiner Argumentation benennt er jedoch da nicht. Jedoch empfiehlt er darauf eine klar definierte Impfpflicht für die deutsche Bevölkerung. Eine solche hält er für besser, als den Versuch, die Bevölkerung „durch geschickte Verhaltenssteuerung und den Eingriff in ihre Grundrechte, sanft oder nicht so sanft zu bewegen, sich impfen zu lassen“. Deutschlands kommender Starphilosoph prophezeite darauf, dass nach einer vollkommenen Durchimpfung der Gesellschaft die Pandemie beendet sei.
Nicht nur in Sachen Corona: Markus Gabriel sieht schwarz
„Dunkle Zeiten sind Zeiten, in denen das, was wir aus moralischen – also alle Menschen betreffenden – Gründen tun beziehungsweise unterlassen sollen, durch Propaganda, Ideologie, Fake News, Halbwahrheiten und so weiter verdeckt wird.” Soweit Markus Gabriel in einem Gespräch mit Liane von Billerbeck für den Deutschlandfunk (August 2020).
Seines Erachtens geht es vielen Menschen und Organisationen nur noch um Verdeckungsstrategien. Dabei ist die Krise mehr als nur eine Pandemie. Wir erleben
eine echte existenzielle Gefahr durch die Klimakrise und damit die Selbstzerstörung der Menschheit. Letztere bedroht sich stattdessen mehrfach selbst. Zum einen durch die von ihr zerstörte Natur wie auch durch eine „unethischen Digitalisierung”, welche letztlich ebenfalls den Planeten verwüstet. Letzteres geschieht durch die Selbstzerstörung der liberalen Demokratie. Kurz: Der sonst aufgeräumt wirkende Gabriel sieht sehr dunkel in unsere Zukunft.
Daneben geht es in diesem Interview auch um Religion – und zwar auf überraschende Weise: So verweist Markus Gabriel darauf, dass wir „einen geradezu religiösen Glauben an die Objektivität der Naturwissenschaften“ pflegen. Nur, so argumentiert er, basieren deren Modelle oftmals gar nicht auf Fakten, sondern lediglich auf Annahmen.
Aber die Geschichte der Gegenwart wird seines Erachtens nochmals merkwürdiger, denn es scheint ja so, als wenn sich die Politik in der Krise von den Wissenschaften leiten lasse. Jedoch handelt es sich bei den betreffenden Wissenschaftlern um Virologen und Epidemiologen. Das stößt Gabriel spürbar auf, zumal die Geisteswissenschaftler sozusagen jetzt ganz abgemeldet sind.
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Markus Gabriel im „After Corona Club”
Als Gast des „After Corona Club“, einer NDR-Sendung, verweist Gabriel im Juni 2020 darauf, „dass ein gutes, gelungenes Leben nicht darin besteht, sinnlose Konsumgüter anzuhäufen. Zumal deren Herstellungsbedingungen dazu führt, dass vermutlich „unsere Enkel oder spätestens unsere Urenkel ersticken werden, weil wir den Planeten zerstört haben”.
Markus Gabriel beschreibt in dieser Sendung das Virus und damit auch die Krise der Pandemie als ein unsichtbares Gespenst. Dieses ist nicht sichtbar, weil wir als moderne Menschen eine vollkommen materielle Sicht auf die Welt eingenommen haben. Aber: Mit dem Unsichtbaren können wir nicht umgehen.
Darüber hinaus ist seiner Meinung nach die alte Normalität spätestens seit dem Aufkommen von Corona zerstört. Mehrfach betont er, dass die sogenannten Ketten (etwa Lieferketten in der Wirtschaft) unterbrochen sind. Diese können auch in Zukunft nicht mehr wieder neu hergestellt werden.
Markus Gabriel
Markus Gabriel ist ein deutscher Philosoph. 2005 war er Gastforscher an der Universität Lissabon, 2006 bis 2008 Akademischer Rat auf Zeit in Heidelberg. 2008 bis 2009 folgte eine Assistenzprofessur am Department of Philosophy der New School for Social Research in New York City. Seit Juli 2009 lehrt Gabriel Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn. Zudem ist er Gastprofessor an der Sorbonne in Paris.
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