Corona war eine Krise des Systems. Und nach der Krise sind Menschen nun einmal müde und wenn sie etwas mehr als müde sind, dann nennt man das Burn-out. Der Soziologe Hartmut Rosa vermutet, dass uns allen die Energie ausgegangen ist.
Hartmut Rosa, seines Zeichens renommierter Soziologe und Politikwissenschaftler, lässt in einem Zeit-Interview seine Gedanken rund um das Thema Corona zirkulieren. Ist es nun ein Burn-out oder ein Energieausbruch – oder beides?
Zuerst einmal beginnt Rosa mit dem US-amerikanischen Soziologen Randall Collins. Jener breitet in seinem Werk den Begriff der emotionalen Energie aus. Bald schon wird der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt erwähnt, der wiederum spricht von einer sozial zirkulierenden Energie, welche beispielsweise auch von den Werken Shakespeares ausgehen soll. Außerdem wird der französische Philosoph Tristan Garcia erwähnt, nach dem sich in modernen Gesellschaften ein intensives Leben zum Standard entwickelt hat. Last but not least wird auf Lévi-Strauss verwiesen, der in diesem Zusammenhang sogar von heißen und kalten Gesellschaften spricht.
Das sind allesamt atemberaubende Verweise auf aktuelle Tendenzen westlicher Theorien der aktuellen Neuzeit. Was uns der imponierende Rosa jedoch verschweigt, aber wahrscheinlich im eigenen Innern erahnt: Das seltsam Esoterische an den vielen soziologischen Perspektiven ist der Umstand, dass sie tatsächlich Spiegelbilder ihrer beziehungsweise unserer Zeit sind. Jedoch wirkt alles verschwommen, so verschwommen wie unsere Zeit es scheinbar auch ist. Nur hat sich die Pandemie nun einmal nicht verschwommen, sie war nämlich ganz real da.
Unmengen von Energien –
lassen uns staunen
Soziale Energie, drückt sich nach Rosa, in rasenden Gesellschaften durch eine andauernde Aktivität aus. Der Soziologe stellt hierzu die These auf, dass sich Kulturen auch anhand ihrer Energiekonzeption unterscheiden lassen.
In diesem Zusammenhang erwähnt er den tantrischen Begriff des „Kundalini“ wie auch das griechische Konzept der „energeia“. Rosa folgert, dass der allgemeine Stillstand durch Corona uns aufzeigt, wie sehr unsere Welt eigentlich energiegeladen war (oder ist).
Jetzt erst, in Zeiten der Veränderung, wird staunend erkannt, wie sehr man permanent unterwegs war – ob nun beruflich oder halt privat. Andererseits raubt derzeit gerade die Corona-Erfahrung vielen Menschen die Energie. Rosa weist zudem darauf hin, dass in den letzten drei Jahrhunderten „die Energie weißer Männer den Takt angibt”.
Nach dem Burn-out: Der Protest als Entfaltung vorhandener Energie
Zum einen ist nach Rosa die gebündelte Aufmerksamkeit, welche die gesamte Menschheit auf das Virus richtet in dieser Form historisch einzigartig. Während sich alle politische Dynamik auf das energiehemmende Virus fokussiert, reagieren die Menschen auf Vorfälle wie den Tod von George Floyd mit äußerst starken Energieausbrüchen. „Die Proteste lassen uns die soziale Energie wieder entfalten, die uns spüren lässt, dass wir als Gesellschaften lebendig sind“, folgert Rosa.
Über eine gestörte Weltbeziehung
In einem Interview mit der TAZ von April 2021 dreht sich alles um die Pandemie. Rosa führt aus, dass die Pandemie die Dynamik im Westen, die seit dem 18. Jahrhundert stetig zunahm, nun abgebremst hat. Insofern sei für die meisten das Hamsterrad des Lebens ebenfalls abgebremst. Nur sind jetzt die westlichen Menschen innerlich rastlos – anstatt glücklich sich der neuen Ruhe hinzugeben.
Paul Virilio und Katzenvideos
Für Rosa ist jetzt das Realität geworden, was Paul Virilio bereits im Jahr 1980 als rasenden Stillstand beschrieben hat – und zwar eine physische Stillstellung. Rosa erkennt anhand und in seinem eigenen Leben ein entsprechendes Paradox: Einerseits sitzt er den ganzen Tag an der gleichen Stelle und zugleich ist er eben an dieser einen Stelle ein Redner, der an ganz verschiedenen Universitäten und Orten weltweit Vorträge hält. „Ich bin rasend unterwegs, von einem Ort zum anderen, aber physisch komplett stillgestellt.“
Diese Feststellung zieht eine weitere nach sich, wonach die meisten sich nun nicht der langsamen Muße hingeben – wie etwa Klavier spielen. Stattdessen erwischt sich der renommierte Soziologe, er ist ja auch mehr oder weniger privat ein ehrlicher Mensch, beim Betrachten von Katzenvideos im Internet.
Warum das so schlimm ist, verrät er uns nicht, aber scheinbar ist das für ihn so, als würde ein Fußballtrainer sich für lustige Eigentore begeistern. Daneben sei der Hinweis gestattet, dass es mit zu den Aufgaben von Soziologen gehört, festzustellen – wer, wann, wo und vor allem warum Katzenvideos schaut.
Mensch & Welt: Eine gestörte Beziehung
Virologen sagen, sagt Rosa, dass Viren immer dann auftreten, wenn die Beziehung eines Organismus zu seiner Umwelt gestört ist. Er folgert daraus, dass unsere „Weltbeziehung“ gestört ist. Spätestens jetzt wird es interessant, denn der Soziologe verweist auf die Grundbeziehung des Menschen zur Welt, welche durch das Atmen geschieht. Eben diese Beziehung ist in der Pandemie gestört, da wir ja nun einen Filter zwischen uns und Umwelt benötigen (die Maske).
Es geht aber noch weiter: Wenn also die Weltbeziehung von einem derart fundamentalen Misstrauen geprägt ist, dann kann ich „mir selbst nicht mehr trauen. Vielleicht ist das Virus schon in meinem Körper. Und ich kann den anderen nicht mehr trauen. Vielleicht stecken sie mich an. Wenn die Weltbeziehung von einem derart fundamentalen Misstrauen geprägt ist, habe ich auch wenig Grund, meinen Politikern zu trauen.“. Nach Rosa kann dies alles zu einem Entstehen einer neuen Form von Wutbürgertum führen.
Burn-out. Und die Welt danach? Bruno Latour und Hartmut Rosa disktieren über die Folgen der Corona-Krise
Zwei Denker unserer Zeit diskutieren über Folgen und Perspektiven der Corona-Pandemie. Im Zentrum steht die Frage, ob diese Krise auch eine Chance zum vollkommenen Umdenken sowie für eine gänzlich neue Gesellschaft sein könnte.
Am Ende des Gesprächs wird das sogenannte Gaja-Prinzip diskutiert. Dieses besagt, dass die Erde und ihre Biosphäre als eine Art Lebewesen betrachtet werden kann. Es befindet sich daher alles in beständiger Interaktion und eine scharfe Trennung zwischen Subjekt und Objekt sowie aktiv und passiv ist eigentlich kaum möglich.
Diesen Gedanken verfolgt vor allem Latour und weist immer wieder darauf hin, wie sehr sich eben das besagte Gaja durch Corona verändert hat. Zum Beispiel ist die Welt des einzelnen nicht mehr so frei wie vorher – und daneben beschäftigen sich die Menschen zum ersten Mal seit langer Zeit mit ihrer direkten Umgebung.
Die Message bezüglich Corona von Hartmut Rosa
Ein Film von September 2020. Hier schaut Rosa auf die gegenwärtige Krise zurück. Diese unterhaltsame und wie immer ehrliche Rückschau fällt gar nicht mal so dramatisch aus, wie man denken könnte.
Michel Friedman meets Hartmut Rosa
Ein erstaunlich entspannter Plausch. Es geht übrigens unter anderem um das eigene Zeitverständnis. Daneben ist das Interview salopp gesagt „wirklich gut”. Daher der ironische Hinweis: „Nehmen Sie sich mal die wertvolle Zeit.”
Hartmut Rosa
Hartmut Rosa (* 15. August 1965) ist ein deutscher Soziologe und Politikwissenschaftler. Er lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zudem ist er Direktor des Max-Weber-Kollegs der Universität Erfurt und betätigt sich als Mitherausgeber der Fachzeitschrift Time & Society sowie des Berliner Journals für Soziologie.
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