24. Dezember: Science & Fiction & Weihnachten

„Wir haben entschieden, dass es sein Wunsch gewesen wäre, dass wir diesen Raum an Sie übergeben. Wann können wir uns in Huntsville treffen?“ Mehr oder weniger endete so das Schreiben, welches direkt an ihn gerichtet war und beinahe von seiner Sekretärin in den Mülleimer befördert worden wäre. Jetzt hielt sein Wagen vor einem langen Zaun an einem nicht allzu großen Berg irgendwo ein paar Kilometer vor Huntsville

E. erkennt jenen Louis, bedeutet dem Fahrer hier zu warten, dann steigt er aus und geht direkt auf den schlanken Mann mit dem sauberen Seitenscheitel und der altmodischen Nickelbrille zu. Sie reichen sich die Hände, sprechen nur das Notwendigste, und gelangen durch eine simple Tür aus Stahl und Draht auf das dahinter liegende Waldstück, worin sie verschwinden.

Ich muss Sie an dieser Stelle mit ein paar Hintergrundinformationen versorgen: Die Sache sollte, also dieses Treffen, unbedingt nicht auffallen. Das war eine geforderte Voraussetzung und E. kam ihr gerne nach. Auch war alles gewissenhaft überprüft worden und somit stimmte es, dass dieser Louis wahrhaftig der Neffe keines Geringeren als Walter von Grün war. 
Wer mit diesem legendären Namen nichts anfangen kann, dem sei gesagt, dass dieser wie kaum ein anderer für moderne Raketentechnik und Raumfahrt steht. ‚The Rocket Man‘ so nennt man jenen von Grün bis heute im englischsprachigen Teil dieser Welt und mit dieser Bezeichnung schaffte er es sogar bis in die Liedtexte von berühmten Popsongs.

Besagter Louis kommt nicht ganz auf seinen berühmten Vorfahren. Er ist einfach ein in sich gekehrter Mensch und seine schlanken Finger könnten darauf hinweisen, dass er Geiger in einem Orchester sein könnte. Daneben wirkt er so verantwortungsbewusst und eigen, wie man es eher Schweizern nachsagt.
Jetzt treten die beiden Männer vor den Eingang der Bunkeranlage.
„Rauchen Sie?“
„Nein. Wieso?“
„Sonst hätte ich vorgeschlagen, dass Sie diesem Bedürfnis noch einmal nachkommen. Drinnen geht das dann nicht mehr.“
„Verstehe.“

Mit ‚drinnen‘ ist ein Atombunker gemeint, welcher Louis zufolge während der Kuba-Krise und damit Ende der 1960er-Jahre angelegt wurde. „Wahrscheinlich gibt es noch ein paar mehr von diesen Dingern hier in der Gegend, allerdings entzieht sich das meiner Kenntnis. Auf jeden Fall gehört dieser Bunker mitsamt Grundstück meiner Familie.“  

„Er hat das wirklich alles testamentarisch so festgelegt?“
„Ja, natürlich. Also er war kein Hellseher, sondern hat definiert, wie jene Person zu sein hat, der wir diese Anlage übergeben.“
„Und warum gerade ich. Und warum treffen wir uns erst heute?“
„Er war anders als sie. Ganz anders. Aber wir schauen diesbezüglich nun einmal auf eine ganz andere Zeit zurück. Und ja, ich bin mir sicher, dass wenn er uns jetzt zuschauen würde, er dann mit meinem Auswahlprozess und der Entscheidung zu diesem eher sehr späten Zeitpunkt absolut zufrieden wäre.“

Die beiden Männer gehen durch einen Gang, halten vor einer Zwischenwand und erneut wird eine tresorartige Tür passiert. Das wiederholt sich noch ein weiteres Mal, bis sie insgesamt etwa dreißig Meter in den Berg hineingedrungen sind. Dann folgt die letzte Tür, die auch von Louis so angekündigt wird. Sie gelangen in einen großen Raum, der an ein Atrium einer römischen Villa erinnert, wobei die Raumhöhe überraschend erscheint. „Viel zu hoch“, denkt der beeindruckte E.

Louis steht nun andächtig vor der seltsamen Konstruktion in der Mitte des Raumes, eine Art futuristischer Baldachin aus Stahl. In der Mitte dieses futuristischen Schreins befindet sich eine Art Commander-Sessel, der an Ufo-Serien aus den 1990er-Jahren erinnert.

„Da hat er gesessen?“
„Ja, einfach dagesessen.“
„Lange?“
„Sehr lange. Hin und wieder einen ganzen Tag. Möglicherweise auch ein paar Stunden oder sogar Tage darüber hinaus.“

„Also in der Regel von morgens bis abends und dann bis zum nächsten Morgen?“
„Ja.“
„War das seine Inspiration? Also hier auf diesem Stuhl zu sitzen.“
„Weit mehr.“
„Inwiefern?“
„Er hat mir viel erklärt oder sagen wir besser, „beigebracht“. Er wusste zudem, dass ich es für mich behalten werde – für immer oder bis es so weit wäre.“

Die beiden Männer bewegen sich ein wenig. Auffällig ist, dass kein Staub zu finden ist, dass hätte E. intuitiv anders erwartet. Daneben ist es hier erstaunlich warm, „viel zu warm eigentlich“, denkt E.

„Jetzt – also hier und jetzt, da können Sie es doch eigentlich erzählen, also, was er ihnen damals beibrachte oder intellektuell hinterließ?“
„Nein. Mein Auftrag, so könnte man es nennen, ist die Informationen an die eine Person erst dann weiterzugeben, wenn erkennbar ist, dass diese dazu gelernt hat.“
„Dann wäre das Erste, einfach hier zu sitzen und auf Inspiration zu warten?“

„So könnte es anfangen. Es ist allerdings weit mehr. Und vor allem ist es kein Hokuspokus. Es geht über alles hinaus, was sie aktuell denken und fühlen – können. Ich selbst verstehe es zum Teil gänzlich und zum anderen Teil wenigstens intellektuell. Allerdings bin ich kein Raketenwissenschaftler – geworden.

„Sagen Sie, woher stammt diese Konstruktion? Wenn man sie genauer betrachtet, auf sich wirken lässt, dann ist sie in gewisser Weise nicht ganz von dieser Welt.“
„Ich weise ungern darauf hin, aber erst wenn Sie einen Teil der Wahrheit in diesem Raum erkennen, wirklich erkennen und verstehen, kann ich dazu mehr sagen.“
E. nickt.

„Nehmen Sie das Geschenk an?“
E. nickt.
Ich flüstere zu Louis:
„Gut gemacht. Sogar sehr gut.“
Er nickt.

 

Hamburg, 24.12.2023
Autor:
Michael Mainka

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