In der Sache stets ein Kritiker – auch der Kritiker. Für den französischen Philosophen Alain Finkielkraut handelte es sich bei der Krise rund um Corona um ein unvorhersehbares Ereignis. Zugleich sah er bereits zu Beginn der Pandemie voreilige Schlussfolgerungen für Frankreich und die ganze Welt kritisch. Und stattdessen? Nun ja, er lobte jene Staatschefs, welche dem „Primat der Politik“ folgten.
Vor allem hatte jener Alain Finkielkraut, seines Zeichens leicht schrulliger Starphilosoph aus Frankreich, keinerlei Verständnis für die hasserfüllte Kritik der Intellektuellen an den Regierungen – insbesondere galt dieses Nichtverständnis für Frankreich und die dort sich ereignenden Debatten.
So in etwa. erläuterte er es dann auch ausführlich bezüglich jenes Falls, worin der französische Philosoph Redeker den französischen Staatspräsidenten für jene Tote verantwortlich machte, die sich im März 2020 in den Wahllokalen mit Corona angesteckt hatten – oder angesteckt hätten. Die Sache ist, war oder wird erst einmal nicht so klar bleiben.
Ich weiß nicht, ob ewige Liebe existiert. Aber ich weiß, dass es Wesen gibt, die es unendlich wert sind, geliebt zu werden. “ – Alain Finkielkraut
Darüber hinaus hatten bereits Giorgio Agamben und Peter Sloterdijk dem französischen Präsidenten unterstellt, eine banale Grippe zur Epidemie hochzuspielen. Der Vorwurf lautete – zu jener Zeit zumindest: Die totale Überwachung durch den Staat solle durchgesetzt werden.
Philosoph Alain Finkielkraut als Kritiker
In einem Interview Anfang Mai 2020 mit France Inter kritisierte Finkielkraut den „kriminellen Populismus”, welcher sich gegen die Regierung und ihre Maßnahmen zur Bewältigung der Corona Krise geformt hatte. Der Philosoph erinnerte an ein Podium des Schauspielers Vincent Lindon, der die Regierungspolitik anprangerte und Anfang Mai von Médiapart veröffentlicht wurde. Finkielkraut sah darin „eine Philosophie, die alle Klischees sozialer Netzwerke aufgreift“.
Auch verwies der borstige Philosoph aus Frankreich darauf, dass er die unerwartete ‚Rückkehr der Stille‘ als einen Moment der Gnade erlebt habe. Das ist poetisch und bezieht sich auf die damaligen Lockdowns. Allerdings machten ihn die Folgen des Tragens von Masken auf die menschlichen Beziehungen traurig. So drückte er sich zumindest mehrfach aus. Auch widersprach er der Idee, dass eine bessere Welt die vorhergehende ersetzen könnte. Hierzu zitierte er tiefgründig den verstorbenen französischen Politiker Arthur Conte: „Die Gesellschaft besteht aus mehr Toten als Lebenden.“
Im Klartext: Finkielkraut kannte weder Mittel für eine ideale Lösung noch gegen die eigene Traurigkeit. Immerhin warf er sich in all die vielen Debatten hinein und kritisierte, verglich, dichtete und verdichtete so gut er konnte. Was will man mehr, als dass ein Philosoph denkt und zugleich zugibt, auch nicht den einen paradiesischen Plan in der Schublade zu haben?
Antirassismus ist der Kommunismus des 21. Jahrhunderts
So lautet eine These Finkielkrauts. In einem Interview mit der Welt, erklärte der französische Philosoph, dass sowohl in den USA wie auch in Europa die meisten Universitäten „unter Beschuss stehen“. Die „Dead White European Males“ und ihre Kultur seien an allem schuld, was sich auf der ganzen Welt verbreitet hat. Hierzu gehören vor allem Sklaverei, Kolonialismus oder Sexismus.
Er erklärt den Erfolg der Bewegung damit, dass das schlechte Gewissen des Bürgertums viele Intellektuelle dazu brachte, sich auf die Seite der Arbeiterklasse zu schlagen. In der heutigen extremen Linken ist nun die Beschämung darüber weiß zu sein, an Stelle des bürgerlichen schlechten Gewissens getreten. Jedoch konnte man die alten Privilegien nicht abstreifen. Damit gibt es keine Sühne und somit keine Erlösung.
Wiederum begünstigt die eigene Scham ein Verhalten, welches darin gipfelt, dass manche „berühmte Universität das Verschwinden der Weißen aus dem öffentlichen Leben feiert“. Insgesamt, so Finkielkraut, kommt es zu einem „Auto-Rassismus“, der seiner Meinung nach „zum erschütterndsten und groteskesten unserer Zeit“ gehört.
Lynchjustiz
Olivier Duhamel, Gründer der Zeitschrift „Pouvoirs“ und zugleich einer der einflussreichsten Personen Frankreichs, ist in einen Skandal um sexuellen Kindesmissbrauch verwickelt. Ausgelöst wurde die Angelegenheit durch ein Buch, worin Duhamels Stieftochter schildert, wie dieser ihren pubertären Zwillingsbruder sexuell missbrauchte.
Wiederum geriet nun Finkielkraut in die Schlagzeilen, weil er als Kommentator in einer Fernsehsendung die Vorgänge relativierte. Der Philosoph sprach sich gegen eine „Lynchjustiz“ aus und verwies stattdessen darauf, dass „echte Justiz“ jeden Fall in allen Details umfangreich prüft.
Diese Aussage, beziehungsweise der Versuch einer Relativierung, ist nun zum Skandal im Skandal geworden. Im Sinne von Finkielkraut halten wir fest: Unsere menschliche Gegenwart auf diesem Planeten ist auf dem besten Weg zum eigentlichen Skandal zu werden.
Alain Finkielkraut
Alain Finkielkraut (* 30. Juni 1949) ist ein französischer Philosoph und Mitglied der Académie française. Er lehrt Philosophie an der École polytechnique und moderiert eine Sendung des französischen Radiosenders France Culture. Finkielkraut gilt zudem als ein lautstarker Kritiker eines im Westen weit verbreiteten Kulturrelativismus.
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