Der slowenische Philosoph Slavoj Zižek beschrieb sie in Büchern. Jetzt kommt sie näher, jene, die manche ängstigt und andere sehnsüchtig herbei beten. Die Rede ist von der postapokalyptischen Zeit, eine Bedrohung wie aus einem Hollywoodfilm oder noch schlimmer. Dabei stellt Zižek aber ganz cool heraus, dass die aktuelle Epidemie eigentlich über einen unapokalyptischen Charakter verfügt.
Slavoj Žižek schlussfolgert in einem Artikel in der Welt, dass zwar unsere Welt zusammenbricht, aber dass sich das hinzieht. Er stellt zudem fest, dass sich die aktuelle Realität nach keinem Filmskript richtet. Es müssen also dringend neue Drehbücher und Geschichten her. Diese sollen dann die Richtung vorgeben, in welche sich die Menschheit
bewegen soll.
Vielleicht, so der Philosoph, sollten wir akzeptieren, dass wir auch weiterhin in einer „viralen Welt” leben werden. Und damit ist eine gemeint, die bedroht bleiben wird, denn selbst ein erfolgreicher Impfstoff kann nicht verhindern, dass bald schon die nächste Pandemie auf uns zukommt.
Das alles sagt der östliche Star der europäischen Philosophie und verweist dann auf unsere US-amerikanische Kulturschmiede in Kalifornien mit den Worten: „Was wir jetzt brauchen, ist Hoffnung am Horizont, was wir brauchen, ist ein neues postpandemisches Hollywood.“ Mit Marx kann man gegen Obrigkeiten kämpfen, aber wenn es um eine rettende Stimmung geht, müssen scheinbar amerikanische Cowboys her.
Die Pandemie ist eigentlich etwas Schönes
Nein, der Satz beziehungsweise die Headline stammt nicht vom osteuropäischen Meisterdenker, aber gleich wird ersichtlich, warum er doch von Žižek stammen könnte. Also: In einem Interview mit der Zeit (Anfang September 2021) erklärt Žižek, dass ihm Beispiele Angst machen – da ja jedes die eigentliche Idee für die es stehen soll, mehr oder weniger untergräbt.
Anhand des bürgerlichen Begriffs der Freiheit erklärt er darauf näher, was er meint. Aber Vorsicht, das Beispiel zum Beispiel gehört nicht zu den einfachen Beispielen der langen Geschichte von Beispielen. Zuerst legt der Meisterdenker dar, dass die Kritik von Marxisten an der Unfreiheit eigentlich bloß jenen Umstand meint, wenn eine Person auf dem Markt verkauft wird. Der Verkaufte muss aus marxistischer Sicht also befreit werden. Aber Žižek argumentiert: „Diese Freiheit ist nur eine andere Form meiner Verknechtung!“
Stattdessen fragt er, Žižek, sich dann, ob die Verknechtung oder Entfremdung nicht der einzige Rahmen ist, in dem wir wirklich in Freiheit leben. Und weiter: „Ich will entfremdet sein! Ich will kontrolliert werden von Mechanismen, die mir undurchschaubar sind.“
Das klingt seltsam, aber ist nun einmal wahr: Ein Mensch hat unter anderem in einem freien Land auch das freiheitliche Recht in Unfreiheit zu leben – wenn er es so will. Im Falle Žižeks bedeutet dies, dass der über siebzigjährige Philosoph einfach alte Filme gucken will. Und weil er keine Menschen mag, mochte er die Pandemie – gibt er gut gelaunt zu denken.
Es bleibt die Frage, ob ein Marxist, der eines des Grundgebote des Marxismus negiert, eigentlich noch einer ist. Wahrscheinlich würde Žižek hier dialektisch argumentieren, dass man erst den heiligen Marxismus verstanden und durchlebt haben muss, bis man diesen Marxismus mit einem Schlag umlegen darf. Anders gesagt: Wer Marxist ist, ist ein Gläubiger. Und wer ein wahrer Marxist ist, der verneint es, ein Gläubiger zu sein und futtert fleißig Chips beim Schauen von alten Hollywoodfilmen. Das ist Dialektik nach Žižek.
SOZIALE DISTANZ
Soziale Distanz? Ja, so lautet nach dem slowenischen Philosophen Žižek das Oberstes Gebot der neuen surrealen Corona-Welt. Der Philosoph gibt September 2020 auf Welt-Online zu bedenken, dass auf dem Spiel nicht weniger als die Freiheit unserer Gedanken steht, denn das digitale Netz wird engmaschiger.
Seiner Meinung nach sind „Ideologen wie Elon Musk“ bereit, diese Freiheit preiszugeben. Žižek kritisiert eindeutig diesen Unternehmer samt seiner Firma Neuralink, welche Produkte entwickelt, die Informationen zwischen Neuronen und Smartphones übermitteln können.
Hierzu zieht er den Vergleich zur Elektroschock-Therapie an, welche 1938 vom italienischen Psychiater Ugo Cerletti entwickelt wurde. Nachdem dieser erkannte, dass man damit Schweine gefügiger machen kann, wendete er das Verfahren an Menschen an.
Die neue Parole:
China folgen
Die Coronakrise scheint Ende 2020 zum ersten Mal auf eine Spitze zuzutreiben und Slavoj Žižek erklärt das Verhalten der meisten Regierungen dieser Welt als faschistisch. Das ist noch nicht alles, denn er verkündet dies auf RT, dem staatlichen Auslandssender Russlands. Auch erstaunt die Headline: „Der beste Weg, den Kommunismus zu verhindern, ist, China zu folgen“.
Es dauert dann, bis man als Leser versteht, dass scheinbar nur noch zwischen Faschismus, Kommunismus oder etwas ähnlichem gewählt werden kann. Starker Tobak? Ja, aber einer der gut reinzieht – und damit beweist, dass er real ist.
Logiques des mondes
Später, im Mittelteil des Texts, geht der Starphilosoph mit dem selbstbewussten Sprachfehler in die Tiefe. Genauer gesagt werden die „Logiques des mondes” von Alain Badiou zitiert. Danach besteht die Idee der Politik der revolutionären Gerechtigkeit aus vier Momenten: Dem Voluntarismus und damit einem Glauben, der „Berge versetzen” kann. Letzteres indem objektive Gesetze und Hindernisse ignoriert werden. Zweitens kann der ausgeübte Terror jeden Feind zermalmen. Daneben ist als dritter Punkt die prompt ausgeübte egalitäre Gerechtigkeit zu benennen. Last but not least vol viertens der letzte Punkt und hier geht es um um das Vertrauen des Volks zu.
Was man noch wissen sollte? Jener Alain Badiou ist ein marxistisch orientierter Philosoph. Lange galt er als der führende Kopf des französischen Maoismus. Warum nun Slavoj Žižek sich auf dessen Theorie konzentriert ist eigentlich einfach zu beantworten: Denn die Thesen des Franzosen werden gerade international umgesetzt. Slavoj Žižek bemerkt dazu lapidar: „Die Liberalen haben Recht mit ihren Ängsten. Die Staaten werden nicht nur gezwungen, neue Formen der sozialen Kontrolle und Regulierung einzuführen, sondern die Menschen werden sogar aufgefordert, Familienmitglieder und Nachbarn, die ihre Infektion verheimlichen, bei den Behörden anzuzeigen.“
Trump ist gar kein Diktator, er spielt nur einen
Für Slavoj Žižek bleiben am Ende zwei Schlussfolgerungen: Danach spielt Trump nur einen Diktator. Das ist zumindest originell. Daneben ist die zweite Schlussfolgerung eine, die sich im Herbst 2020 regelrecht aufdrängt: Žižek spricht von einem Establishment, das von apokalyptischen Szenarien besessen ist. Und er weist darauf hin, dass eine Welt ihrem Ende zu geht und damit eine neue möglich wird. Punkt.
Die Pandemie als eine Probe für eine wirkliche Krise
In einem Interview Anfang Dezember 2020 mit der Berliner Zeitung bezeichnet Slavoj Zizek die Pandemie als eine Probe für eine wirkliche Krise. So beginnt denn besagtes Interview auch dramatisch: „Wir haben in Slowenien momentan bis zu 50 Covid-19-Tote pro Tag. Wenn man das auf die Größe meines Landes bezieht, haben wir eine der schlimmsten Todesraten der Welt.“
Slavoj Zizek gibt dann auch unumwunden zu, dass ihn all dies depressiv macht. Die Impfung, wenn sie denn in Slowenien kommt, wird er sofort vornehmen, denn er gehört zu den Gefährdeten, sagte er damals. Wir wissen heute lediglich, er hat überlebt und ist zugleich kein Zombie geworden.
Da war eine perverse Lust mit im Spiel …
Auf die Frage, inwieweit kulturelle Einflüsse für die Verbreitung des Virus sorgen, wie etwa der Begrüßungskuss der Franzosen, zeigt er sich reserviert. Schließlich explodieren die Zahlen mal in Polen und dann sogar in Deutschland. Er selbst findet dafür keine Erklärung. Und auch wenn die Chinesen im Dezember 2020 gut dastehen, impliziert das doch nicht die Überlegenheit von deren System, glaubt und sagt er. Zizek verweist hier auf das westlich orientierte Taiwan wie auch Australien und Neuseeland, welche auch „einen sehr guten Job“ machen.
Letztlich endet das originelle Interview noch düsterer. Er verweist zitierend auf den französischen Philosophen und Soziologen Bruno Latour: „Diese Pandemie ist nur eine kleine Probe für die wirkliche Krise, die später noch kommt: andere Viren, globale Katastrophen und vor allem – die Erderwärmung.“
Verantwortung. Auf Slowenisch
Kurz vor Weihnachten 2020 veröffentlichte die NZZ ein Essay von Slavoj Žižek, welches um die Themen Weihnachten und Pandemie kreist. Der Philosoph erweist sich dabei als durchaus religionskundig wie eben auch verständig. Vor allem geht es ihm um die Frage, wie Jesus den Menschen in schweren Zeiten beisteht – und warum denn Gott nicht einfach eingreift in die Gefahrenlage von Menschen.
Nach Žižek handelt der moderne Christ verantwortungsbewusst – und dazu zitiert der Philosoph Jesus, der auf die Frage antwortete, wie man erkennen könne, ob er nach seinem Tod zurückkehren würde: „Wenn zwei oder drei von euch versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“
Diese Aussage interpretiert nun inmitten der Pandemie und wenige Tage vor Weihnachten Žižek wie folgt: „Christus kehrt als liebende Verbindung zwischen seinen Jüngern wieder, nicht als höhere Macht, die sie vereint.“
Ein intellektueller LSD-Trip? Zumindest ein Film von und mit Slavoj Žižek …
„Ideologien wurden unserem Selbst nicht einfach so auferlegt.“ Können Aussagen wie diese die Highlights eines Films sein? Eigentlich nicht, außer es handelt sich um einen ganz perversen, einen, in dem unsere Welt solange auseinandergenommen wird, bis die Sache zum intellektuellen LSD-Trip wird. Anders gesagt: Willkommen in einem Film, der seines gleichen sucht und dessen Hauptdarsteller Superstar Slavoj Žižek himself ist.
Und was sagt das antikommunistische Wall Street Journal zu diesem Machwerk? „Unwiderstehlich“. Was sagen wir? Angucken und sich selbst eine Meinung bilden. Denn, unsere ach so individuellen Meinungen und Geschmäcker wurden uns nicht ganz „auferlegt“.
Er redet lieber – als Fragen zu beantworten! Ein Interview mit Slavoj Žižek …
Wer noch nie ein Interview mit Fragen auf Schweitzer-Deutsch und gelispelten Antworten auf Englisch inklusive osteuropäischen Akzent beigewohnt hat, dem sei dieser Filmbeitrag wärmstens empfohlen. Übrigens dreht sich der erste Teil um einen Witz aus Zeiten der Mangelwirtschaft.
Slavoj Žižek
Slavoj Žižek (* 21. März 1949) ist ein slowenischer Philosoph und zugleich einer der populärsten Denker unserer Gegenwart. Bekannt geworden ist er durch die Weiterentwicklung der Psychoanalyse Jacques Lacans, indem er dessen Theorien auch auf andere Felder wie Popkultur, Gesellschafts- wie auch oder Kapitalismuskritik anwendet. Insgesamt wird sein Werk als in der Tradition von Hegel, Marx und Lacan stehend angesehen.
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