Historiker Yuval Noah Harari inmitten einer bergigen Wüstengegend.

Harari denkt an Kultur und Weltkollaps

Auch in Zeiten der Covid-19 Pandemie beeindruckt diese Geschichte: Yuval Noah Harari ist aktuell der weltweit berühmteste Historiker. Er legt ein neues Buch mit dem Titel „Sapiens” vor und erklärt Anfang 2021 die Impfung zur besten Erfindung der Welt.

Daneben sprach der israelische Historiker Harari in einem Interview ausführlich über das Thema Pandemie beziehungsweise Corona. Der Bestsellerautor sieht eine neue Ära auf die Menschheit zukommen und warnt zugleich. Denn noch haben wir Menschen die Wahl, ob diese eine positive oder negative wird – sagt der Autor von Werken wie ‚Sapiens. Der Aufstieg` oder ‚Homo Deus‘. 

Ein Wissenschaftler schreibt vor Elefanten und einer Pyramide die über Covid-19, Homo Sapiens und allgemein die Geschichte des Menschen

Homo Sapiens? Eine historische Einordnung –
von Yuval Noah Harari

Für Yuval Noah Harari ist die aktuelle Pandemie bei weitem nicht so gefährlich wie vergangene Seuchen. „Das Coronavirus ist nicht der Schwarze Tod aus dem Mittelalter und auch nicht die Spanische Grippe von 1918“, denn diese waren seiner Meinung nach medizinisch weitaus desaströser. Demgegenüber stellt Harari die politischen wie auch wirtschaftlichen Aspekte, welche dramatischer erscheinen. Schließlich können die Auswirkungen auf diesen Gebieten sogar zum Kollaps der Weltordnung führen. Auf jeden Fall kommt es zu einer weiteren Destabilisierung – das zumindest sagt er im Jahr 2021. 

Diesem Gedankengang folgt dann auch zu jener Zeit die Aussage, dass die Menschen in einigen Jahrzehnten sich wahrscheinlich nicht an die Epidemie erinnern werden, sondern an den Moment, als die digitale Revolution Wirklichkeit wurde.

 

In China schon etabliert:
die Überwachung der Bevölkerung

Der berühmte Historiker befürchtet, dass die Überwachung der Bevölkerung wie wir sie etwa aus China kennen auch in den westlichen Demokratien Einzug halten wird. „Eine 24-Stunden-Kontrolle ist in unserer zunehmend digitalen Welt überhaupt kein Problem mehr.“

Zudem die Corona Maßnahmen nur ein Jahr vor der Pandemie im Westen noch undenkbar gewesen. Somit befinden wir uns aktuell in einer beschleunigten Tendenz, deren Ergebnis die totale Überwachung sein kann, da eben dies aufgrund der Pandemie akzeptabel geworden ist. Als vertiefende Beispiele benennt er hierzu die Speicherung von Gesundheitsdaten oder die Angabe von Namen und Adressen beim Restaurantbesuch.

In Sachen ’neuer Kultur‘ handelt es sich um eine erschreckend negative. In diesem Sinn erklärt Harari nüchtern ein neues Exportmodell Chinas: Danach werden die dortigen Methoden bezüglich zur Bekämpfung der Covid-19 Pandemie exportiert – und schließlich auch auf andere Krankheiten wie Grippe oder Krebs angewendet werden können. „Es wäre ein autoritäres Regime, wie es dieser Planet noch nicht gesehen hat. Eine Diktatur, die schlimmer wäre als Nazideutschland oder die Sowjetunion unter Josef Stalin …“. Anders gesagt: Die Bekämpfung von Krankheiten beziehungsweise einer weiteren Pandemie führt in Zukunft möglicherweise zur Unterwerfung der gesamten Menschheit.

Man muss bis ins Steinzeitalter zurückgehen, um eine Gesellschaft zu finden, die vor Epidemien vollkommen geschützt war – der Grund ist einleuchtend, die damaligen Gesellschaften waren weitestgehend isoliert. Daneben ist für den Historiker nicht die Isolation das Gegenmittel zur Epidemie, sondern stattdessen benötigen wir verlässliche Informationen, die dann auf der Länderebene als auch auf der Ebene der Individuen geteilt werden können.

In Sachen neuer Kultur: Harari spricht über Fortschritt & Biotechnologie & Covid-19

Für den israelischen Historiker Yuval Noah Harari hat sich das Leben des Menschen im Laufe seiner Geschichte nicht verbessert, zumindest wenn man die Arbeitsleistung des Einzelnen in Korrelation zu dessen Wohlstand betrachtet. So kam es nach tausenden von Jahren erst im 20. Jahrhundert zu einer nennenswerten Verbesserung des Lebensstandards sowie einer Verlängerung der Lebenserwartung.

Daneben hat es vor 50.000 Jahren neben dem Homo sapiens mindestens fünf weitere menschliche Arten gegeben. Jedoch weiß auch Harari nicht, ob es zu ethnischen Säuberungen kam. Ohne nennenswerte Ironie verweist er in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich mit der künstlichen Intelligenz eine neue Entität etabliert hat. Diese könnte uns das antun, was „wir den Neandertalern angetan haben“.

Sapiens? Von der Nadel zum Erzählen von Geschichten

Ein origineller Gedanke Hararis lautet: Es war die Nadel, welche es dem Homo sapiens ermöglichte, die Welt zu erobern. Denn dank warmer Kleidung konnte dieser vor etwa 15.000 Jahren bereits Amerika erreichen. Dort angekommen verursachte er dann auch gleich einmal eine der größten ökologischen Katastrophen der jüngeren Erdgeschichte. Übrigens wurden dabei die dortigen Mammuts und Riesenbiber allesamt ausgerottet. Und ganz woanders, also auf dem australischen Kontinent war es auch nicht viel  besser.

Daneben weist uns der berühmte Historiker auf einen besonderen Umstand hin: Es zeichnet den Menschen aus, sich Geschichten zu erzählen. Letzteres lässt diesen zusammenarbeiten – und auch dieser Umstand kann als gut wie auch schlecht angesehen werden.

„Wir erfinden Geschichten, und wir setzen sie ein, um andere Menschen an uns zu binden und von unseren Ideen zu überzeugen“, sagt Harari dazu. Er fügt noch an, dass wir tatsächlich eine neue Erzählung oder Geschichte zur Rettung unserer Zivilisation benötigen. Diese wäre dann eine, welche jene der Banker ersetzt, welche unzählige dazu verführt, für ein paar Papierscheine über lange Zeiträume zu schuften.

Der Historiker Yuval Noah Harari vor einer Pyramide. Unten befindet sich ein Kamel – alles inmitten von Covid-19.

Der israelische Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari hält Impfungen bezüglich Covid-19 für die beste Erfindung der Geschichte

Nicht nur in Zeiten der Pandemie: Anfang Dezember 2020 und einen Tag vor Beginn der Corona-Impfkampagne in Israel erläuterte Harari in einem Film, dass er viel von Impfungen hält. So seien vor der Ära der Impfungen etwa ein Drittel der Kinder an unterschiedlichen Infektionskrankheiten gestorben. Daneben hätten früher ebenso Erwachsene beständig in Angst vor Seuchen gelebt.

Zwar hätten Impfstoffe mitunter Nebenwirkungen, aber es gibt seines Erachtens keinen Grund, dem grundsätzlich zu misstrauen. Er unterstreicht diese Aussage mit einem bemerkenswerten Superlativ: „Wenn ich die beste Erfindung der Geschichte wählen müsste, würde ich sagen, Impfungen.“ 

2021 wurde noch nichts besser

In einem Interview mit der Welt (Mitte Oktober 2021) geht Harari besonders auf die Pandemie ein. Gleich zu Beginn unterstreicht er, dass das positive Ziel eine internationale Zusammenarbeit auszubauen aktuell in keiner Weise erreicht wird. Er verweist zudem darauf, dass es nach zwei Jahren Pandemie noch immer keinen globalen Plan gibt, um die Pandemie schnellstmöglich zu überwinden. Sozusagen ist der Homo Sapiens an sich in der Krise. 

 

Überwachung und Pandemie

Harari hält  Maßnahmen wie eine „Überwachung“ in Notfallsituationen für notwendig und persönlich für richtig. Aber zugleich verweist er darauf, dass diese Art von Lösung sich zu einem trojanischen Pferd entwickeln kann – und somit zu einer totalen Kontrolle von Gesellschaften. Er empfiehlt daher eine Art Regel, wonach es sich um befristete Maßnahmen handeln sollte, die für beide Seiten Gültigkeit haben müssen.

 

Demokratie –
in Gefahr

Nach Harari lebt die Demokratie von der Akzeptanz der Andersdenkenden. Mit Sorge betrachtet er, wie der Hass zwischen den Bevölkerungsgruppen zunimmt, was zu zwei gefährlichen Szenarien führen kann: Bürgerkrieg zum einen oder aber eine extrem autoritäre Regierung zum anderen.

 

Digitale Viren –
sind eigentlich gefährlicher

Harari sieht die Gefahr, welche von digitalen Viren ausgeht, als größer an, als die von einem weiteren organisch-biologischen Virus. Daher genügt bereits ein Computer-Blackout von wenigen Tagen, um eine Katastrophe auszulösen. Zudem steuert die Welt immer weiter in einen digitalen Krieg, der sich vornehmlich zwischen den USA und China abspielt.

Die Welt nach Covid-19 und Pandemie

In einem allgemein zugänglichen Essay nahm Yuval Noah Harari im Mai 2020 zu der Pandemie als Historiker fundiert Stellung. Er verweist hierbei darauf, dass die Herausforderung sich zwischen Privatsphäre und Gesundheit zu entscheiden, die eigentliche Wurzel des Problems bei Covid-19 ist. 

Er stellt zudem klar, dass der Schutz der Gesundheit nicht zwangsläufig zu einer totalen Überwachung der Bevölkerung führen muss – sondern umgekehrt, dass die Macht den mündigen Menschen gegeben werden sollte. Dabei verweist der intelligente Historiker auf Beispiele, bei denen der Staat umfassend informierte und sich darauf die Bevölkerung sehr umsichtig und sozial verhielt.

Insgesamt lehnt Yuval Noah Harari vehement den Einsatz von Überwachungstechnologien ab. Denn jene Technologie, „die Husten identifiziert, könnte auch das Lachen identifizieren“. Was folgt, wird wahrscheinlich eine Massenerfassung von Daten sein, die wiederum zu einer totalen Manipulation der Bevölkerung führen kann.

Bestsellerautor Yuval Noah Harari über Demokratie, Faschismus und Kommunismus

Harari wirft aktuell der Menschheit eine besondere Sache vor: Niemand hat Visionen für die Zukunft. Stattdessen schaut man in die Vergangenheit. Daneben haben wir die Geschichten verloren, also die Kunst etwas zu erzählen, woran man glauben kann.

Schaut man zurück, dann gab es im 20. Jahrhundert drei große Narrative: den Faschismus, den Kommunismus und den Liberalismus. Letzterer siegte und die Menschheit schien da noch sicherer zu wissen, wohin es gehen würde. Jetzt, nur wenig später, haben wir keine Ziele mehr und keinen Narrativ. Wir bewegen uns derzeit sehr schnell von einer Situation zur anderen.

Yuval Noah Harari gibt zu, dass er den vorhandenen Liberalismus in seinen Büchern überaus stark kritisiert. Mittlerweile, wo diese sozialphilosophische Einstellung immer mehr ins Wanken gekommen ist, gibt ihm wiederum die eigene Einstellung zu denken. Denn: Er sieht aktuell in der gesamten menschlichen Kultur keine bessere Form als eben der des Liberalismus.

Auch verweist Harari auf die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz. Es entstehen damit verbundene Technologien, welche in naher Zukunft ‚den Menschen hacken‘ werden. Der freie Wille und damit die liberale Demokratie sind dem jedoch nicht gewachsen und der Mensch beziehungsweise die Menschheit wird extrem manipulierbar. Harari folgert: Wir müssen unsere Systeme verändern, damit unsere Ideale von Freiheit, Demokratie und Liberalität überleben – können.

Yuval Noah Harari

Yuval Noah Harari (* 24. Februar 1976 in Kiryat Ata, Bezirk Haifa) ist ein israelischer Historiker und lehrt als solcher an der Hebrew University in Jerusalem. Seine Bücher „Eine kurze Geschichte der Menschheit”, „Homo Deus” und „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert” wurden internationale Bestseller. Ende 2020 erschien seine Graphic Novel „Sapiens. Der Aufstieg”.