Zynismus? Nein, der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk weist im Frühjahr 2020 darauf hin, dass die anfänglichen Übertreibungen der Medien im Fall der Pandemie schon bald von der Realität übertroffen wurden. Am Ende des Jahres sah er dann eine Klima-Religion am Horizont aufziehen. Und vielleicht ist die Pandemie ja irgendwie ein Vorbote von dieser?
Die schlimmen Medien? Sind noch schlimmer, als man* denkt. Es lebe die Wahrheit …
Nach dem deutschen Philosophen Peter Sloterdijk geht es den Medien immer zuerst darum, dass ein Geschehen nie schlimm genug sein kann. Das wiederum entspricht dann aber auch der klassischen Rhetoriklehre.
Seiner Meinung nach erleben wir daher mit der Corona Krise eine Art großes medientheoretisches Seminar. Damit verbunden ist ein Ausnahmezustand, in dem ein Monothematismus entsteht. Wiederum lässt sich hervorragend erkennen, wie sich die Stimmungen von modernen Gesellschaften von Tag zu Tag ändern.
Diesen Umstand, er ist ja noch nicht ganz vorbei, beschreibt er mit dem Begriff Erregungsraum. Als Beispiel fügt er, Sloterdijk, die AfD-Aufregung in Deutschland an, die er als ein Luxusthema „für unterbeschäftigte Übertreiber“ bezeichnet. Ein weiteres nennenswertes Beispiel bildet seines Erachtens die MeToo-Welle. Diese hat zwar einen ernsten Kern, um den sich dann aber „sofort die Übertreibungsunternehmen“ anlagern.
Gut gedeutet ist …
In Sachen Corona und Deutung kommt Peter Sloterdijk wiederum zu einer anderen Einordnung von Lage und Geschehnisse. Denn anders als aufgezeigt, schrieben die Medien die Dinge zwar hoch, aber eine nüchterne Beschreibung der Verhältnisse in italienischen, französischen, spanischen Krankenhäusern zeigt eigentlich nochmals Schlimmeres: „Wir zählen Leichen, für Übertreibung ist kein Platz mehr“, betont der deutsche Vor- oder Nachdenker.
Querdenker in Zeiten der allgemeinen Panik? Räusche des Irrsinns!
Besagte Räusche des Irrsinns in Zeiten der Pandemie erkennt Deutschlands gesetzter Meisterdenker aktuell bei einer noch recht neuen Gesellschaftsklasse namens „Querdenker“. Dies zumindest stellt er im Jahr 2021 in einem Interview der aus Hamburg stammenden Zeitschrift „Brand eins“ fest.
Und da letzterer nicht nur für Zitate bekannt ist, folgt da auch noch eine intellektuelle Aufforderung: Nach Sloterdijk sollte man besagten Querdenkern helfen. Nein, nicht etwa an Denkimpulse wird da gedacht, sondern an ein denkbares Aussteigerprogramm für besagte Querdenker.
Da aber der deutscher Philosoph eben auch als Kritiker staatlicher Einschränkungen bekannt ist, erwartet der Leser zurecht noch eine nachdenkliche Zugabe. Diese folgt dann auch prompt: Sloterdijk kategorisiert jene Querdenker als „Figuren wie aus dem Spätmittelalter“ – und damit als solche, „die den Weg in die Moderne und damit zu naturwissenschaftlicher Evidenz und zum Staatsbürgertum innerlich nicht mitgegangen sind“. Dies alles hat seines Erachtens etwas „Kleinkindliches“.
Andererseits ist kindliches Verhalten typisch für Sekten und so kommt es nicht überraschend, dass der Philosoph die diversen Gruppen dieser Bewegung als „sektenähnliche Meinungsgenossenschaften“ einordnet. Es sei dahin gestellt, ob Peter Sloterdijk hier ins Schwarze trifft, aber das nachfolgende Zitat erscheint weise: „Es gibt für den Selbstgenuss nichts Schöneres als solche Räusche des Irrsinns.“
Wer aber nun selbst zum Rauschhaften neigt, was ja menschlich ist, der sollte es vielleicht einmal mit einer Abkühlmethode à la Sloterdijk probieren. Der Philosoph radelt mehr als gerne und beschreibt dies wie folgt: „Wenn man … vier Stunden Rad fährt, wirkt die Bewegung wie ein großer Schwamm, mit dem die schwarze Tafel des Bewusstseins wieder blank gewischt wird. Derjenige, der vom Training zurückkommt, ist nicht derselbe, der losgefahren ist.“ Angefügt sein noch, dass bei der nächsten Krise, sie kommt sicherer als das Amen in der Kirche, hoffentlich alle erregten Geister sich auf den Drahtesel werfen werden.
Ein Essay mit dem ungelenken Titel: Machen wir einen Schritt zurück: über den Menschen als Distanzwesen und Lektionen aus der Pandemie“
Das Einfache liegt Sloterdijk nicht so richtig, dafür aber das Originelle. Um zur Sache zu kommen, in diesem nicht allzu langen Essay von August 2020 in der NZZ mit einem allzu langen Titel betrachtet er die Gegenwart sozusagen aus der Corona-Perspektive. Genauer gesagt weist er erst auf, dass Menschen durchaus mit Pflanzen in friedlicher Koexistenz leben können, aber die gleiche Angelegenheit mit Tieren schon schwieriger wird. Zumal das Abenteuer Zivilisation mit der Jagd nach diesen begann.
Warum er das alles darlegt, ausbreitet und erwähnt? Weil Menschen das Leben in Völkern, Nationen oder sogar Imperien spät und mühsam erlernt haben. Und er weist auch darauf hin, dass alle höheren Zivilisationen die Jagd nach Tieren schließlich ausgeweitet haben, halt auf eine nach Menschen. „Die frühen Imperien sind stabilisierte Autodomestikationssysteme, mit Königen, die Göttern gehorchten, und versklavten Populationen, die auf die Stimme des Herrn dressiert waren …“
Woraus läuft es hinaus?
Das ist dann sozusagen das Vorspiel zum eigentlichen Gedanken des Essays: Der deutsche Philosoph gibt zu, dass er, damals, beim Schreiben der „Kritik der zynischen Vernunft“ davon ausgegangen war, dass der Zynismus jener Zeit sich nicht weiter steigern ließe. Stattdessen, schreibt er, wird „der Komplex aus Zynismus, Immoralismus, Absurdismus, Ironismus und Frivolitätskultur das ganze 21. Jahrhundert“ für sich haben, „allem neuen Moralismus zum Trotz“.
Wenn die zynische Vernunft dann doch noch verblasst? Dann bleibt immer noch die Gegenwart à la Peter Sloterdijk
Ja, Zynismus und Freiheit sind ansteckend. Daneben bemühte sich die erste Aufklärung im antiken Griechenland darum, Menschen mit der Liebe zum Wissen zu infizieren. Und im alten Rom? Da war jene Aufklärung eine Art Werbung für die Lebensform der Humanitas, so Slooterdjek. Viel später, in England und in Frankreich, wurde daraus die Sprache des Universalismus, der Menschenrechte und des legitimen Glücksstrebens für alle.
Vielleicht wird die kollektive Klimasensibilität die letzte Weltreligion sein
Nun aber, zieht da etwas Ansteckendes in den heutigen Menschen hinein. Der Philosoph nennt es „mediengetragene Epidemien“ –, die „sozialpsychologische Realitäten“ abbilden. Für alle, die noch nicht ganz verstehen, worauf der Meisterdenker hinaus will, formuliert er es extra nochmals ganz anders: „In unseren Tagen kommt etwas hinzu, was es in dieser Form noch nie gegeben hat: die fast vollkommene Synchronizität von mikrobischer und informatischer Pandemie.
Willkommen in der neuen „Klima Weltregion“ – des deutschen Philosophen Peter Sloterdijk
In der Augsburger Allgemeinen erklärt Peter Sloterdijk Ende 2020 und damit inmitten der Pandemie, warum Religion heute erstmals nutzlos – und somit frei ist. Er sieht dagegen in der Klimafrage die einzig mögliche Quelle für eine große Glaubensbewegung. „Vielleicht wird die kollektive Klimasensibilität die letzte Weltreligion sein.“ In diesem Zusammenhang verweist er darauf hin, dass es auch die erste Religion wäre, die dann alle erreicht.
Die bisherigen Weltreligionen seien nach Jahrtausenden „funktionslos“ geworden. Letztlich ist Religion zumindest nach Sloterdijk erstmals in der Geschichte nur noch Privatsache. Zu der von ihm propagierten Klimareligion braucht man seiner Erkenntnis nach auch keine neuen Götter. Durchaus einleuchtend, erläutert der deutsche Philosoph: „Man kann aus C02 aber keine Gottheit machen. Eher aus der atmosphärischen Hülle des Planeten. Die will nicht liturgisch verehrt sein, sie muss nur mit Sorgfalt respektiert werden.“ Darüber hinaus sagt der gewichtige Philosoph den sogenannten Klimawandel-Skeptikern, den neuen Ungläubigen, „schwere Zeiten“ voraus.
Der Aufstand? Wird wohl kommen
Peter Sloterdijk beleuchtet in einem „Großinterview“ mit der NZZ unsere Gegenwart – insbesondere jene des sogenannten Westens. Er spricht da von einem Semisozialismus, der eigentlich eine Tendenz zum Dreiviertelsozialismus ist.
Im oberen Teil dieses Gebildes befindet sich seines Erachtens eine neue Aristokratie, bestehend aus staatlich geduldeten Halbunternehmern plus Managern staatsnaher Betriebe wie auch noch höhere Staatsbedienstete. Dem gegenüber steht am unteren Ende eine Schicht von Staatsabhängigen, für die dann ein leistungsloses Grundeinkommen sorgt.
Daneben gibt es da im Irgendwo noch eine vor sich hin schmelzende Schicht, jene, die letztlich für die Zeche des gesamten Gebildes aufkommt. Die Rede ist von der Mittelschicht und diese trägt nach Peter Sloterdijk in Zukunft auch die Hauptlast der Corona-bedingten Maßnahmen. Soweit und so gut die schöne neue Welt nach Peter Sloterdijk.
Er selbst hält die Zügel locker, ist auch gut darin, aber kann sich einen subtilen wie auch emotionalen Hinweis auf sein eigenes Empfinden dann doch nicht ersparen. Er, Peter Sloterdijk, kommt lapidar zu einer „Vermutung“, wonach „Gesellschaften, in denen mehr als fünfzig Prozent aller Äußerungen auf der Basis von Heuchelei gesprochen werden, mittelfristig zum Untergang verurteilt sind“. Aber Sloterdijk bleibt ganz Sloterdijk und belässt es dann doch lieber bei der skizzenhaften Andeutung.
Peter Sloterdijk: Die Trennung der Seele vom Körper und ihre Rückkehr (zu ihm)
Zufall oder nicht: ein tiefgehender Vortrag in Zeiten der weltweiten Pandemie. Sloterdijk betont hier die enge Verbundenheit von seelischem Wesen und Körper, um schließlich danach zu fragen, was denn diese Seele in Wirklichkeit ist.
Peter Sloterdijk
Peter Sloterdijk (*26. Juni 1947) studierte von 1968 bis 1974 in München und an der Universität Hamburg Philosophie, Geschichte und Germanistik. Im Jahre 1976 wurde er von Professor Klaus Briegleb promoviert. Darauf folgte von 1978 bis 1980 ein langer Aufenthalt im Ashram von Bhagwan Shree Rajneesh im indischen Pune. Schließlich arbeitete er als freier Schriftsteller. Das bereits 1983 publizierte Buch “Kritik der zynischen Vernunft” zählt bis heute zu den meistverkauften philosophischen Büchern des 20. Jahrhunderts. Von 2001-2015 war Sloterdijk Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.
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